Eine Versicherungsnehmerin litt nach einem Unfall an einer „psychischen Belastung“, die zu einem Tinnitus führte. Bei der Beurteilung des Ausmaßes der dauernden Funktionsbeeinträchtigung ließ der Versicherer diesen jedoch außer Acht. (7 Ob 65/23v)
Artikel von:
Dr. Roland Weinrauch
Gründer der Kanzlei Weinrauch Rechtsanwälte|https://weinrauch-rechtsanwaelte.at/
Zwischen der Versicherungsnehmerin und dem Versicherer besteht ein Unfallversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 2008) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
„Begrenzungen des Versicherungsschutzes
Art 21
- Welche sachlichen Begrenzungen gibt es?
Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes
[...]
3.3 Für organisch bedingte Störungen des Nervensystems wird eine Leistung nur erbracht, wenn und soweit diese Störung auf eine durch den Unfall verursachte organische Schädigung zurückzuführen ist. Seelische Fehlhaltungen (Neurosen, Psychoneurosen) gelten nicht als Unfallfolgen.
[...]“
Die Versicherungsnehmerin hatte nach einem Unfall eine „psychische Belastung“, die zu einer weiteren (dauernden) Funktionsbeeinträchtigung (Tinnitus) geführt hat. Unter Verweis auf Art 21.3.3 AUVB 2008 ließ der Versicherer den Tinnitus bei der Beurteilung des Ausmaßes der dauernden Funktionsbeeinträchtigung außer Betracht. Der Fall landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof (OGH).
Wie ist die Rechtslage?
In seiner Entscheidung vom 24.05.2023 (Geschäftszahl: 7 Ob 65/23v) führte der OGH zunächst aus, dass es sich bei Art 21.3.3 AUVB 2008 um einen Risikoausschluss handle, der keinen Bedenken nach dem Transparenzgebot gemäß § 6 Abs 3 KSchG begegne, da die Klausel klar und unmissverständlich sei. Nach Art 21.3.3 AUVB 2008 liege nur dann eine von der Versicherungsdeckung umfasste Störung des Nervensystems vor, wenn sie organische Ursachen habe. Die von der Klägerin behauptete „psychische Belastung“, die zum Tinnitus hat, habe als solche keinen organischen Ansatz. Damit stelle diese Beeinträchtigung keine von der Versicherungsdeckung umfasste Störung des Nervensystems dar, weshalb sie bei der Beurteilung des Ausmaßes der dauernden Funktionsbeeinträchtigung nicht relevant sei.
Unter Verweis auf seine bisherige Judikatur führte der OGH allerdings noch aus, dass der Versicherungsschutz dann nicht ausgeschlossen werde, wenn der Versicherte eine Gesundheitsschädigung infolge eines Schocks erleidet, der durch ein Unfallereignis hervorgerufen wird. Eine „psychische Belastung“ sei jedoch – ohne ausdrücklichen Hinweis darauf – kein Schock im Sinn eines unmittelbar, durch den Unfall verursachten „psychischen Unfalltraumas“.
Schlussfolgerungen
Wenn das Nervensystem nicht organisch geschädigt wird, sondern eine Neurose nur aufgrund der psychischen Haltung des Geschädigten zum Unfall und seinen Folgen entsteht, ist die Deckung ausgeschlossen.
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