Beim einem Unfall erlitt ein Versicherungsnehmer schwere Verletzungen seines Beines, welches schlussendlich teilweise amputiert werden musste. Seither trägt er eine Prothese. Der Invaliditätsgrad wurde mit 90% ermittelt. Der Versicherungsnehmer forderte jedoch Invaliditätsentschädigung ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 95%, da er der Ansicht war, dass seine Prothesentauglichkeit bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades, keine Rolle spielen sollte.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 08.08.2022
Der Kläger hat mit dem beklagten Unternehmen einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Bei einem Unfall erlitt der Kläger schwere Verletzungen des linken Beines, welches letztlich zum Teil amputiert werden musste. Seither muss der Kläger ein Oberschenkelkunstbein mit einem mikroprozessgesteuerten Kniegelenk und einem Fußteil aus Karbon tragen. Die beklagte Unfallversicherung hat den Invaliditätsgrad des linken Beines mit 90% ermittelt. Bei der Bemessung wurde berücksichtigt, dass der Kläger liegen, sitzen und eine Prothese zum Gehen tragen kann. Nach Ansicht des Klägers muss allerdings bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades der Umstand, dass er eine Prothese tragen kann (= Prothesentauglichkeit) unberücksichtigt bleiben. Vor diesem Hintergrund strebte der Kläger eine Invaliditätsentschädigung ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 95% an und brachte daher gegen die Unfallversicherung eine Klage über den entsprechenden Differenzbetrag ein.
Wie ist die Rechtslage?
Die dem gegenständlichen Unfallversicherungsvertrag zugrundeliegenden AUVB 2007 lauteten auszugsweise wie folgt:
„Artikel 7
Was gilt bei vereinbarter Leistung dauernde Invalidität?
…
Bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich die folgenden Invaliditätsgrade:
…
– eines Beines 70 %
…
2.3 Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.“
Ausgehend von Artikel 7 der AUVB berücksichtigten die beiden Vorinstanzen im Rahmen der Bestimmung des Invaliditätsgrades den Umstand, dass der Kläger Prothesen tragen kann, als mindernd. Der OGH teilte die Beurteilung der beiden Vorinstanzen. Dazu führte der OGH aus, dass im Wesentlichen die Fortbewegung zu den natürlichen Aufgaben zählt, die die Beine zu erfüllen haben. Nach Ansicht des OGH dient ein verbleibender, prothesentauglicher Gliederrest unmittelbar der Erfüllung dieser Aufgabe. Die Prothesentauglichkeit verbessere nämlich die Fortbewegungsmöglichkeiten gegenüber der Situation von Personen, die eine Prothese gerade nicht verwenden können. Damit werde auch eine Verbesserung der gesamten Lebenssituation eines Versicherungsnehmers bewirkt.
Schlussfolgerung
Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch: „Vor diesem Hintergrund kam der OGH zum Ergebnis, dass ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer Artikel 7.2.3 AUVB dahin verstehen wird, dass die einen Gliederrest verbleibende Prothesentauglichkeit bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen ist und dadurch der Invaliditätsgrad entsprechend gemindert wird.“
Von Dr. Roland Weinrauch (Foto), Gründer der Kanzlei Weinrauch Rechtsanwälte: https://weinrauch-rechtsanwaelte.at/
Titelbild: © 22Imagesstudio – stock.adobe.com
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