Nach den meisten AVB sind Eingangs- und Terrassentüren, Fenster und alle sonstigen Öffnungen stets ordnungsgemäß verschlossen zu halten, wenn die Versicherungsräumlichkeiten für noch so kurze Zeit von allen Personen verlassen worden sind. Dazu gibt es umfangreiche Judikatur, zuletzt OGH 7 Ob 47/22w vom 28.04.2022.
Artikel von:
Dr. Wolfgang Reisinger
Lektor WU Wien und der Donau-Universität Krems
Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) verließ das Haus für eine Woche und beließ das Fenster zur ebenerdigen Werkstatt in gekippter Stellung. Unbekannte Täter drückten das gekippte Fenster auf, öffneten die Verriegelung, vermutlich mit einem Draht, und gelangten so in die Werkstatt. In weiterer Folge zwängten der oder die Täter die verschlossene Metalltüre zwischen Werkstatt und Aufgang zum Wohnhaus mit einem mitgebrachten Brecheisen auf. Der Versicherer lehnte die Deckung wegen Verletzung der in der Einleitung genannten Obliegenheit ab. Die Deckungsklage des VN blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Entgegen der Ansicht des VN ist ihm dadurch, dass der/die Einbrecher erst die zwischen Werkstatt und Wohnbereich befindliche Metalltür mit einem Brecheisen aufzwingen mussten, nicht der Nachweis gelungen, dass der Eintritt des Versicherungsfalls nicht auf der erhöhten Gefahrenlage (gekipptes Fenster) beruhte, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht. Erleichtert doch das Fenster in Kippstellung das Eindringen in die Werkstatt. Einmal dort, konnten sich der/die Täter ungestört mit weit geringerem Risiko vor Entdeckung an der Innentür zu schaffen machen.
Kommentar
Bei der genannten Obliegenheit handelt es sich um eine sogenannte Sicherheitsvorschrift, deren Verletzung idR bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt. Unter dem „Verschließen der Versicherungsräumlichkeiten“ ist nicht nur das Versperren der Türen, sondern auch das Verschließen der Fenster gemeint. Das Belassen eines Fensters in Kippstellung bei Verlassen der Räumlichkeiten stellt einen groben Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten dar, wenn das Fenster leicht erreichbar und zum Einsteigen in die Räumlichkeiten geeignet ist. Dass der/die Einbrecher durch ein gekipptes Fenster einsteigen, ist natürlich ein starkes Indiz dafür, dass das Fenster tatsächlich zum Einsteigen geeignet war, wenn auch nicht verschwiegen werden soll, dass die AVB mancher Unternehmen andere Formulierungen enthalten. Durch ein in Kippstellung befindliches Fenster wird jedenfalls die Gefahr eines Einbruchdiebstahls erheblich gesteigert, weil ein Fenster in dieser Stellung einem Einbrecher weit weniger Widerstand bietet als ein geschlossenes Fenster. Da es sich um eine Obliegenheit gemäß § 6 Abs 2 VersVG handelt, kann der VN den Kausalitätsgegenbeweis führen, dass also der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit mit Sicherheit eingetreten wäre. Wie der OGH ständig judiziert, sind an den Gegenbeweis strenge Anforderungen zu stellen, es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun. Zum gekippten Fenster gibt es umfangreiche Vorjudikatur des OGH (7 Ob 94/06h, 7 Ob 239/12s). Ob der Kausalitätsgegenbeweis gelingt, hängt natürlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Der Kausalitätsgegenbeweis bezüglich eines gekippten Fensters kann z. B. dann gelingen, wenn der Einbrecher bei einem anderen (nicht gekippten) Fenster oder bei einer versperrten Tür einbricht. Dafür kann es gute Gründe geben, etwa wenn sich das gekippte Fenster auf der Straßenseite befindet und andere – wenn auch nicht gekippte – Fenster uneinsehbar sind.
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