Ausgangsfall: Ein Vermittler gewinnt neue Kunden, sei es durch eine Neuakquisition oder durch den Erwerb des Kundenbestands eines anderen Vermittlers. In der Vergangenheit wurden die neuen Kunden durch ihre damaligen Vermittler falsch beraten und sind immer noch unter diesen unpassenden Verträgen versichert. Muss der neue Vermittler diesbezüglich tätig werden, und wenn ja, was genau muss er tun, um eine Haftung zu vermeiden?
Artikel von:
Mag. Georg Wimmer
Versicherungsrechtsexperte bei KPMG Law – Buchberger Ettmayer Rechtsanwälte GmbH
Gemäß § 3 Abs 1 der Standesregeln für Versicherungsvermittlung (österreichische Umsetzung der IDD) besteht grundsätzlich nur vor Abschluss des Versicherungsvertrags eine Beratungspflicht. Eine regelmäßige Beurteilung, ob bestehende Produkte des Kunden immer noch zu dessen Wünschen und Bedürfnissen passen, ist nicht allgemein vorgeschrieben. Es gibt jedoch Ausnahmen.
Ausnahme 1: Es ist hinsichtlich aller Versicherungsprodukte möglich, eine regelmäßige Eignungsprüfung bestehender Produkte vertraglich zu vereinbaren. Dies könnte etwa bei einer Neuakquisition im Rahmen des Beratervertrags erfolgen. Bei Bestandsübernahmen werden die bereits bestehenden Beraterverträge übernommen. Eine Vertragsänderung, von nun an (keine) laufende Eignungsprüfung vorzunehmen, kann bei Bestandsübernahmen dem Kunden angeboten, muss von diesem jedoch nicht akzeptiert werden.
Ausnahme 2: Eine zweite wesentliche Ausnahme besteht für Versicherungsmakler. Gemäß § 28 Z 7 MaklerG sind sie verpflichtet, laufende Überprüfungen der bestehenden Versicherungsverträge durchzuführen und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge für den Versicherungsschutz zu unterbreiten.
Zusammengefasst kann man somit sagen, dass alle Makler zur regelmäßigen Neuevaluierung der Versicherungsprodukte ihrer Kunden auch nach Vertragsabschluss verpflichtet sind. Agenten und Direktvertriebsmitarbeiter (konkret: das Versicherungsunternehmen als deren Arbeitgeber) sind nur dazu verpflichtet, wenn dies mit dem Kunden vereinbart wurde. Wenn keine Pflicht zur regelmäßigen Eignungsprüfung bestehender Produkte besteht, muss im Falle von Neukunden oder Bestandsübernahmen keine besondere Überprüfung hinsichtlich früherer Fehlberatungen vorgenommen werden. Besteht jedoch eine solche Pflicht, wird der Vermittler sie entweder zur vereinbarten Zeit (z.B. einmal jährlich) oder anlassbezogen durchführen müssen. Kommt der Vermittler dieser Pflicht nicht nach, kann er auf Schadenersatz geklagt werden. Dies könnte etwa relevant sein, wenn sich der zu erwartende Schaden vergrößert und die Versicherungssumme nun zu niedrig ist, um einen Schaden vollständig zu decken. Eine explizite Pflicht bei jedem Neukunden oder jeder Bestandsübernahme alle Verträge des Kunden zu prüfen, liegt jedoch nicht vor.
Um seinen Nachbetreuungspflichten im Falle einer Bestandsübernahme oder eines Neukunden nachzukommen, sollte der Vermittler folgende Schritte befolgen:
1) Überprüfen, ob eine regelmäßige Eignungsprüfung bestehender Produkte verpflichtend ist
Bin ich Makler? Dann besteht eine solche Pflicht. Wurde die Pflicht vertraglich vereinbart? Auch dann besteht eine solche Pflicht. Trifft nichts davon zu, muss ich nicht tätig werden.
2) Informationen vom Kunden einholen und seine aktuellen Wünsche und Bedürfnisse ermitteln
Wenn eine Pflicht zur regelmäßigen Eignungsprüfung bestehender Produkte vorliegt, muss der Vermittler vom Kunden entsprechende Informationen einholen. Dazu zählt eine Aufstellung aller bestehenden Versicherungen des Kunden. Weiters sind die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu ermitteln. Diese müssen mit den bestehenden Produkten abgeglichen werden. Stimmen die Produkte noch mit den aktuellen Wünschen und Bedürfnisse des Kunden überein? Gibt es offensichtliche Deckungslücken oder Überdeckungen? Gibt es Produkte, die den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden besser entsprechen als die aktuellen Produkte des Kunden (auch wenn diese nicht „schlecht“ sind)? Die Überprüfung hat zum nächsten vereinbarten Zeitpunkt stattzufinden (z.B. einmal jährlich) oder bei Anlass zur Annahme, dass sich die Umstände wesentlich geändert haben.
3) Über potenzielle Risiken auf dem Laufenden bleiben
In einem jüngeren OGH-Urteil (OGH 7 Ob 139/21y) wurde ein Makler zu Schadenersatz verurteilt, weil er eine Änderung der Rechtslage, die zu einer Erhöhung des zu erwartenden Schadens führte, nicht angesprochen hatte. Ein Arzt hatte bei ihm eine Berufshaftlichtversicherung für Behandlungsfehler abgeschlossen. Durch eine Änderung der Rechtslage vergrößerte sich zwar nicht die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungsfehlers, aber die Höhe der Haftung des Arztes im Falle eines Behandlungsfehlers erheblich. Als es zu einem Schadenfall kam, reichte die Versicherungssumme nicht aus. Der Arzt verlangte vom Makler den Ersatz der Differenz. Der OGH vertrat, dass der Makler, der auf Ärzte spezialisiert war, von dieser Änderung der Rechtslage, die sich massiv auf die Haftung der Ärzte auswirkte, hätte wissen müssen. Da der Makler in diesem Fall jedoch sehr spezialisiert war, wird man nicht von jedem Versicherungsmakler verlangen können, über jede noch so geringe Änderung der Rechtslage Bescheid zu wissen. Es wird jedoch wohl erwartet, dass ein Versicherungsvermittler zumindest von einem Urteil oder einer Gesetzesänderung Kenntnis hat, wenn diese breit medial diskutiert wird und daher „allgemein bekannt ist“. Ein zur regelmäßigen Eignungsprüfung bestehender Produkte verpflichteter Vermittler wird die möglichen Risiken und deren Wahrscheinlichkeit im Auge haben und darauf reagieren müssen, wenn sich die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts oder die Höhe des zu erwartenden Schadens ändert.
Im Ergebnis haftet ein Vermittler stets nur für sein eigenes Verhalten. Sollten Fehlberatungen stattgefunden haben, dann trifft es einen übernehmenden Vermittler nur dann, wenn er zur Überprüfung verpflichtet ist und eine solche Überprüfung trotzdem unterlässt. Wer neue Kunden gewinnt und zu deren regelmäßigen Beratung zu bestehenden Produkten verpflichtet ist, wird diese zum vereinbarten Zeitpunkt prüfen müssen, um vergangene Fehler, Über- oder Unterdeckungen oder besser geeignete Alternativen schnellstmöglich ansprechen zu können. Aus Beweisgründen empfiehlt sich eine möglichst lückenlose Dokumentation dieser Überprüfungshandlungen.
Den Beitrag lesen Sie auch in der AssCompact Februar-Ausgabe!
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