Auszug aus dem Schwerpunkt-Interview mit Walter Kupec (Chief Insurance Officer Schaden/Unfall der Generali Versicherung AG), Kurt Möller (Vorstandsmitglied der Zürich Versicherungs-Aktiengesellschaft), Dipl.-Ing. Christian Sipöcz (Vorstandsmitglied der VAV Versicherungs-AG) und Günther Weiß (Vorstandsvorsitzender der HDI Versicherung AG) über autonomes Fahren und die Auswirkung auf die Kfz-Sparte.
Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 05.03.2021
Wie sehen Sie die Entwicklung des autonomen Fahrens und welche Auswirkung könnte das langfristig auf die Kfz-Sparte haben?
Walter Kupec: Autonome Fahrzeuge werden als Highend-Ausprägung der Hersteller angeboten. Daher sind diese Modelle nur im Neuzulassungsbereich in einem kleinen Bruchanteil zu finden. Es dauert daher viele Jahre bis Jahrzehnte, bis es zu einer größeren Durchmischung von nicht-autonom, teilautonom und autonom fahrenden Fahrzeugen kommt.
Ohne staatliche Steuerung wird es – ähnlich wie bei der E-Mobilität – keine rasche Marktdurchdringung geben. Aus heutiger Sicht gehen wir davon aus, dass die jetzige Form des Versicherungsschutzes für zum Verkehr zugelassene Fahrzeuge noch sehr lange bestehen bleibt.
Kurt Möller: Bis zu dem Zeitpunkt, wo autonomes Fahren zum Standard wird, wird es noch etwas dauern. Es müssen erst die gesetzlichen Rahmenbedingungen dazu geschaffen werden – und davon hängen viele Fragen ab. Zum Beispiel: Dürfen ab einem Zeitpunkt gesetzlich nur mehr autonom fahrende KFZ verkauft werden? Wer besitzt das Fahrzeug und wer ist Versicherungsnehmer? Endkunde, Hersteller oder ein Dritter? Weitere Fragen ergeben sich zur Infrastruktur und dem gemischten Verkehr, also wie lange konventioneller Verkehr und autonomes Fahren nebeneinander bestehen werden.
All das wird unsere Versicherungsansätze ändern. Zusätzlich wird die Schadenfrequenz langfristig sicherlich deutlich reduziert sein im Vergleich zum aktuellen Stand. Dieser Benefit wird aber durch wahrscheinlich erhebliche Reparaturkostensteigerungen kompensiert werden. In Europa wird die volle Marktwirkung noch lange auf sich warten lassen, da die nationalen Flotten überwiegend aus älteren Fahrzeugen bestehen.
Dipl.-Ing. Christian Sipöcz: Es gibt bereits immer wieder Versuche auf Teststrecken, um die Entwicklung des autonomen Fahrens weiter voranzutreiben. Langfristig wird auch dieses Segment Eingang im Bereich KFZ finden. Die Frage wird – ähnlich wie bei den Elektrofahrzeugen – sein, wie schnell und mit welchem Anteil sich diese Art der Fortbewegung niederschlagen wird.
Günther Weiß: Derzeit erwarten wir eine eher langsame Entwicklung in diesem Bereich. Bis das autonome Fahren in Österreich einen bedeutenden Einfluss auf die Gestaltung von Kfz-Versicherungsprodukten nimmt, wird es noch viele Jahre dauern. Auch wenn sich diese neuen Technologien positiv auf die Schadenhäufigkeitsentwicklung auswirken wird, ist absehbar, dass die Durchschnittsschäden immer teurer werden, da noch spezifischere Ersatzteile benötigt werden. Die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich sind auch sehr stark mit den technischen Errungenschaften in Kombination mit den gesetzlichen Regelungen verknüpft. Langfristig kann dies die Kfz-Sparte schwächen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als VU in diesem Zusammenhang?
Walter Kupec: Neue Entwicklungen bringen neue Risiken. Wir sprechen von Highend-Produkten – einem relativ kleinen Segment moderner Hightech-Fahrzeuge mit hochkomplexen Systemen. Jede Verknüpfung mit weiteren Systemen, z.B. andere Fahrzeuge, Verkehrssteueranlagen oder Navigationssystemen, steigert die Komplexität. Systemstörungen können durch Softwarefehler oder aufgrund krimineller Eingriffe auftreten. Diese neuen Risiken bleiben in der Verantwortung des Fahrzeugnutzers. Daher werden künftige Versicherungstarife für diese spezielle Zielgruppe auch diese zusätzlichen Risiken abbilden müssen.
Kurt Möller: Aktuell gibt es noch eine Reihe an Herausforderungen. So gibt es beispielsweise noch keine Namenskonvention für die verschiedenen Funktionen des autonomen Fahrens. Jeder Hersteller hat seine eigenen Bezeichnungen. Autonom fahrende Autos sind im Allgemeinen teurer in der Reparatur als Fahrzeuge, die weniger Technologie enthalten. Die Technologie wird dazu beitragen, dass die Hauptursache für Kollisionen, das menschliche Versagen, reduziert wird. Langfristig erwarten wir daher, dass die Anzahl der Schäden zurückgeht und dies die höheren Schadensummen kompensiert. Daten zu diesen Entwicklungen sind das A und O, um unsere Produktlandschaft und IT-Systeme anzupassen und die richtige Preisposition zu finden.
Dipl.-Ing. Christian Sipöcz: Als Versicherer müssen wir uns mit der Thematik auseinandersetzen, welche Auswirkungen autonomes Fahren auf die Schadenfrequenz (evtl. rückläufig) und die Durchschnittsschäden (evtl. steigend, da komplexere Fahrzeuge und Reparaturkosten) haben wird. Zusätzlich wird sich auch die Frage stellen, wer im Falle eines Unfalls die Verantwortung trägt. Der Autohersteller aufgrund von Fehlern in der Software oder die Besitzerin bzw. der Besitzer des Autos.
Fahrzeuge, mit denen teilautomatisiert gefahren werden kann, sind auch heute schon auf den Straßen Österreichs unterwegs. Sowohl im privaten Bereich als auch bei betrieblicher oder gewerblicher Nutzung werden teil- oder hochautomatisierte Systeme bald zur Grundausstattung sämtlicher Fahrzeuge zählen. Manche Kfz-Hersteller planen, bis 2022 sämtliche Fahrzeuge zumindest teilautomatisiert auszustatten. Dabei fährt das Fahrzeug teilweise autonom, der Fahrer lenkt vor allem im innerstädtischen Bereich aber immer noch selbst. Ab 2035 soll für alle Fahrzeuge das autonome Fahren als Standard erreicht sein.
Rechtlich zeichnet sich teilweise eine Verlagerung der Haftung vom Lenker zum Hersteller bzw. Programmierer des Fahrzeuges ab. Aber auch beim autonomen Fahren wird nach der Einschätzung von Experten ein Fahrzeughalter für die Betriebsgefahr haften. Daher wird die individuelle Kfz-Haftpflichtversicherung weiter unverzichtbar bleiben. Der zukünftig voraussichtlich sinkenden Anzahl von Unfallschäden und damit geringeren Versicherungsprämien stehen aber neue Risiken, etwa der Ausfall von diversen Assistenzsystemen gegenüber.
Günther Weiß: Kurzfristig könnte die Bewältigung von höheren Schadenquoten durch Ersatzteil-Preissteigerungen eine Herausforderung darstellen. Langfristig benötigt es neue Versicherungskonzepte, die erst entwickelt werden müssen.
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Foto oben v.l.n.r.: Dipl.-Ing. Christian Sipöcz, Günther Weiß, Kurt Möller und Walter Kupec
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