Wie Dr. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung, die Entwicklung der Sparte „Lebensversicherung“ hinsichtlich der demografischen Veränderungen und der Zinspolitik in den kommenden Jahren sieht, welchen Stellenwert die private Krankenversicherung für die Gesellschaft hat und welchen Beitrag Versicherungsbranche und Politik angesichts der steigenden Zahl von Naturkatastrophen und des Klimawandels leisten können, erfahren Sie im Interview.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 03.10.2023
Lebensversicherungs-Produkte sind seit Jahren stark rückläufig. So verzeichnete die Versicherungsbranche in Österreich innerhalb der letzten zwölf Jahre hier nominal eine Milliarde Prämienverlust. „Gegengerechnet mit der Inflation, sollten wir eigentlich drei Milliarden laufende Prämien mehr haben – wären wir seit 2010 nur mit der Inflation mitgewachsen“, erklärt Ralph Müller. „Das ist ein Problem für uns als Branche, aber auch für unsere Vertriebspartner, weil hier Verdienste entgangen sind. Und zunehmend ist es auch für die Kund:innen ein großes Thema. Stichwort: Altersarmut. Wenn bei der Generation 65 plus massiv Kaufkraft fehlt, ist das ein Problem für die zukünftige Gesellschaft und damit auch ein gesamtstaatliches. Kund:innen werden einen sicheren Aufbau von Kapitalstöcken in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dringend benötigen. Deswegen glaube ich, dass hier eine Trendwende unbedingt erforderlich ist.“
„Lebensversicherungen werden in den kommenden Jahren stark wachsen“
Ralph Müllers Prognose für die Lebensversicherung: Die Lebensversicherung werde in den kommenden Jahren – neben der Krankenversicherung – stark wachsen und das aus guten Gründen: „Die demografische Entwicklung, insbesondere die steigende Anzahl von Pensionist:innen im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung, stellt unser bestehendes Umlagesystem vor große Herausforderungen. Private Vorsorge wird daher immer dringender, da die finanzielle Belastung der öffentlichen Rentensysteme zunimmt. Die geburtenstarken Jahrgänge, die nun laufend in den Ruhestand treten, erhöhen die Anzahl der Pensionen erheblich. Diese Verschiebung in der Altersstruktur wird die Lebensversicherung als Absicherungsoption besonders attraktiv machen.“
Die Zinswende begünstige laut Müller die private Vorsorge, da sie die Gewinnbeteiligung erhöhen werde: „Die klassische Lebensversicherung ist nicht als Investmentprodukt konzipiert, sondern bietet eine sichere und vor allem eine lebenslange Zusatzpension. Die garantierte Rente ist der entscheidende Faktor, denn diesen Vorteil kann einzig die Lebensversicherung liefern. Die Zinswende wird die Renditen der klassischen Lebensversicherung verbessern und sie für zukünftige Rentner:innen attraktiver machen.“
Für Müller ist die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge (PZV) das Basisprodukt für die private Altersvorsorge in Österreich: „Besonders bei jüngeren Kund:innen verzeichnen wir eine zufriedenstellende Nachfrage. Die staatliche Förderung, die Kapitalgarantie und die Steuerfreiheit machen die PZV attraktiv. Dennoch sehe ich Reformbedarf, etwa in der Liberalisierung der Veranlagungsvorschriften, um den Kund:innen mehr Wahlmöglichkeiten zu bieten, oder in einem umfassenderen Fördermodell, das die Absetzbarkeit der Beiträge und eine Erhöhung der staatlichen Prämie einschließt. Eine Erweiterung der PZV um biometrische Bausteine wie private Pflege- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen wäre ebenfalls eine Möglichkeit, das Produkt noch attraktiver zu machen“
„Private Gesundheitsvorsorge ist eine der größten Wachstumssparten in der Branche“
Die private Gesundheitsvorsorge ist für Ralph Müller die ideale Ergänzung zu den Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung: „Sie ist eine der größten Wachstumssparten in der Branche und ich bin überzeugt, dass der Markt hier noch lange nicht gesättigt ist. Wir sehen, dass Kund:innen vor allem die Wahlmöglichkeiten bei Spitälern, Ärzt:innen und Terminen schätzen. Rund ein Drittel der Österreicher:innen hat eine private Gesundheitsvorsorge – da sieht man, dass wir noch genügend Potenzial haben. Und man darf nicht vergessen, dass die private Krankenversicherung eine wichtige Stütze des gesamten Gesundheitssystems ist. Immerhin flossen im vergangenen Jahr 2,2 Mrd. Euro aus privaten Versicherungen in das System.“
Maßnahmenbündel für besseren Versicherungsschutz bei Naturkatastrophen
Steigende Häufigkeit und Intensität von Unwettern führen zu höheren Schadensummen. Auch die Wiener Städtische verzeichnete im Jahr 2021 Schäden von rund 200 Mio. Euro, im letzten Jahr waren es 120 Mio. Euro und heuer wird es laut Ralph Müller aller Voraussicht nach ein dreistelliger Millionenbetrag werden. Deshalb fordert Müller, ein Bündel an Maßnahmen, von ausreichender Deckung in der Eigenheimversicherung bis hin zu strikten Bebauungsverboten in Hochwassergebieten: „Österreich ist aufgrund des Klimawandels besonders betroffen, da der Temperaturanstieg im Kontinentalbereich stärker ausfällt. Die Versicherungsbranche kann hier als Partner agieren, indem sie präventive Maßnahmen unterstützt und entsprechende Versicherungsprodukte anbietet. Trotz Investitionen in Präventionsmaßnahmen wie Hochwasserschutzbauten etc. ist eine ergänzende Versicherbarkeit von Naturgefahren unverzichtbar. Die Versicherungswirtschaft bemüht sich seit vielen Jahren um eine Versicherungslösung für Naturgefahren als gemeinsame Lösung mit der öffentlichen Hand. Dieses Katastrophenpaket könnte den Versicherungsschutz im Falle eines Hochwassers, aber auch anderer Naturkatastrophen für alle Österreicher:innen deutlich erhöhen und mehr Versicherungsschutz bieten als bisher – und das auf leistbarem Niveau.“
Foto oben: Dr. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung
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