An der Aktienmarktentwicklung während der Coronakrise hat sich wieder einmal gezeigt, dass der Markt selbst die bessere Prognose für dessen künftige Richtung liefert als Experten. Eine Erkenntnis, die so alt ist wie der erste Aktienindex.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 08.09.2021
Von Leo Willert, CEO and Head of Trading bei ARTS Asset Management GmbH (Foto)
Als die Weltgesundheitsorganisation WHO am 11. März 2020 die neuartige Coronavirus-Erkrankung COVID-19 zur Pandemie erklärte, waren die Leitindizes schon seit gut vier Wochen auf dem Tiefflug. Wie so oft in der Vergangenheit war der Aktienmarkt auch diesmal ein guter Indikator für künftige Entwicklungen – in diesem Fall freilich nicht besonders verwunderlich, angesichts der drastischen Eindämmungsmaßnahmen in Asien und der etwa 20.000 bis dahin bestätigten COVID-Fälle mit knapp 1.000 Toten allein in Europa.
Meistgehasste Aktienrally
Was die Mehrheit der professionellen Anleger dagegen verstörte, war die temporeiche Erholung, die insbesondere in den USA ab dem 23. März einsetzte. Diese Phase ist mittlerweile als „meistgehasste Rally aller Zeiten“ schon Geschichte. Was war geschehen? Ein guter Teil der staatlichen Direkttransfers an die privaten Haushalte floss angesichts von Lockdowns und eingeschränkter Konsumgelegenheiten in den Aktienmarkt und katapultierte den S&P 500 bis Anfang August wieder auf Vorkrisenniveau und bis zum Jahresende 2020 weit darüber hinaus. Viele professionelle Investoren hatten den Blick auf die verheerenden Konjunkturdaten fixiert und verpassten so einen guten Teil der Rally. Der Markt selbst war somit das bessere Prognosewerkzeug für dessen weitere Entwicklung als der Konsens der Experten. Dass dem oft so ist, vermutete schon der erste Verleger des Wall Street Journal, Charles Dow. Seinen „Dow Jones Industrial Average Index“, der am 26. Mai 1896 erstmals publiziert wurde, verstand er als „Barometer“ des Marktes und die Kernaussage, der von seinem Nachfolger William Hamilton erweiterten „Dow Theorie“ lautet: „Die Marktbewegung reflektiert alles verfügbare Wissen.“ Mit anderen Worten: Alles, was alle Marktteilnehmer zusammen über die Märkte (und ihre wahrscheinliche Zukunft) wissen (oder glauben), ist zu jedem Zeitpunkt bereits im Preis abgebildet.
Folge dem Trend
Die Dow Theorie hebt allerdings die sehr viel ältere instinktive Idee, dass es besser sei, mit dem Markt zu gehen als gegen ihn, auf eine ganz neue Ebene, indem Dow und Hamilton recht komplexe Regeln dafür definieren, wann ein Trend als etabliert bzw. verlässlich gelten kann und wann als beendet. Im Prinzip basieren die meisten heute verwendeten technisch-systematischen Handelsmodelle auf den von Dow, Hamilton und später Robert Rhea entwickelten Überlegungen zum Trendverhalten der Märkte. Es geht dabei übrigens nie darum, zukünftige Entwicklungen vorherzusagen, denn Trendfolge ist immer ein prognosefreies Verfahren. Stattdessen versucht man, mit statistischen Methoden bereits bestehende Markttrends zu erkennen und investiert in deren Fortsetzung. Auch der Ausstieg erfolgt regelbasiert – nämlich dann, wenn das Ende des Trends festgestellt wird. Freilich bieten selbst die komplexesten Algorithmen für Trendfolgemodelle keine 100%ige Trefferquote, denn Märkte sind chaotische Systeme mit einer sehr großen Zahl an Einflussfaktoren, zu denen nicht zuletzt auch die menschliche Psyche mit ihrer Anfälligkeit für Gier und Angst zählt. Was Trendfolge mit Sicherheit leistet, ist eben solchen psychologischen Fallen zu entgehen. Verluste werden hier niemals „ausgesessen“, sondern diszipliniert begrenzt, bevor sie schmerzliche Dimensionen annehmen können. Gewinne dagegen werden nicht aus Angst, sie wieder zu verlieren, „mitgenommen“, sondern ausgeweitet, bis das Ende des Trends effektiv erkannt wird. Diese Strategie führt also zur zuverlässigen Vermeidung typischer Anlegerfehler und häufig auch zu besseren risikoadjustierten Ergebnissen als das bloße Halten des Marktportfolios.
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