Die Rechtsschutzversicherung hat in der versicherungsrechtlichen Judikatur des OGH auch im Jahr 2022 eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Einen besonderen Schwerpunkt hat erneut das Thema Dieselmanipulationssoftware bzw. Diesel-Abgasskandal und Rechtsschutzversicherung dargestellt, hatte doch der OGH diverse rechtliche Fragen zu klären, ob bzw. inwieweit Versicherungsschutz für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Fahrzeughersteller besteht.
Artikel von:
Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA
Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Lektor an der Donau Uni Krems, WU-Wien und Juridicum Wien
1. Welcher Rechtsschutz-Baustein gelangt zur Anwendung?
Die Rechtsschutz-Versicherung ist bekanntermaßen von einer Baustein-Struktur gekennzeichnet: Die Besonderen Bestimmungen der ARB (Art. 17ff.) listen einzelne versicherbare Rechts- und Risikobereiche auf (z.B. Fahrzeug-Rechtsschutz, Lenker-Rechtsschutz, Schadenersatz-Rechtsschutz, Straf-Rechtsschutz, Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz, etc.), sodass sich in der Praxis oftmals die Frage stellt, welchem dieser Rechtsschutz-Bausteine eine bestimmte rechtliche Auseinandersetzung zuzuordnen ist; und – so ehrlich muss man sein – die Zuordnung bzw. die Abgrenzung der einzelnen Bausteine zueinander fällt mitunter nicht leicht.
Im gegenständlichen Kontext der Ansprüche gegen die Hersteller von Fahrzeugen, die mit einer Dieselmanipulationssoftware ausgestattet waren, sind drei unterschiedliche Rechtsschutz-Bausteine auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen:
- einerseits der Schadenersatzsatz-Rechtsschutz für das Fahrzeug (Art. 17.2.1. ARB),
- andererseits der Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz (Art. 17.4. ARB)
- und der (allgemeine) Schadenersatz-Rechtsschutz des Art. 19 ARB.
Der OGH hat in seiner Entscheidung 7 Ob 95/21b zu Recht darauf verwiesen, dass der Schadenersatz Rechtsschutz für das Fahrzeug (Art. 17) nur dann infrage kommen kann, wenn die Ansprüche aus der bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs resultieren. Dies ist aber beim Anspruch gegen den Hersteller des Fahrzeuges mit der Behauptung des Einbaus einer abgasmanipulierten Software nicht der Fall, sodass dieser Rechtsschutzbaustein ausscheidet. Ebenso scheidet nach dem OGH der Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz aus, da der VN als Anspruchsteller kein Vertragsverhältnis zum Hersteller des Fahrzeuges hat und diese Ansprüche auch keine Schadenersatzansprüche wegen reiner Vermögensschäden aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern darstellen.
Somit bleibt als Rechtsschutzbaustein für die Deckung der (allgemeine) Schadenersatz-Rechtsschutz über, sodass die Deckungspflicht grundsätzlich nach Art. 19.2.1. der ARB zu bejahen ist (versdb 2022, 53).
Das bedeutet für die Praxis: Wenn der VN mit der Behauptung, das von ihm gekaufte Fahrzeug sei mit einer abgasmanipulierten Software ausgestattet, gegen den Hersteller (nicht gegen den Verkäufer!) dieses Fahrzeuges vorgeht, dann braucht der VN nach der Rspr des OGH dafür keinen Fahrzeug-Rechtsschutz; es reicht für den Versicherungsschutz der Schadenersatz-Rechtsschutz des Art. 19 ARB.
2. Wie ist der Versicherungsfall festzulegen?
Ebenso wie die Zuordnung zum konkreten Rechtsschutz-Baustein war für die Ansprüche gegen den Hersteller eines mit Dieselmanipulationssoftware ausgestatteten Fahrzeugs fraglich, nach welcher Theorie der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung festzulegen ist und wann dieser konkret eingetreten ist. In diesem Zusammenhang war zunächst entscheidend, ob die Ereignistheorie oder aber die Verstoßtheorie für die Festlegung des Versicherungsfalls anzuwenden ist.
Wie erwähnt, geht der OGH von der Einordnung des Anspruchs des VN gegen den Hersteller des Fahrzeugs in den Schadenersatz-Rechtsschutz (Art. 19 ARB) aus, sodass man zunächst für die Festlegung des Versicherungsfalls an die Ereignistheorie denken würde. Die Regelungen der Festlegung des Versicherungsfalls in Art. 2 ARB sind jedoch durchaus komplex: Während die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen regelmäßig nach Art. 2.1. ARB in das Regime der Ereignistheorie fällt, gilt dies i.d.R. jedoch nicht für reine Vermögensschäden, die weder auf einen Personen-, noch auf einen Sachschaden zurückgehen, die also jemand ohne Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts erleidet. Dies greift der OGH bereits in der Entscheidung 7 Ob 32/18h auf und erklärt, dass seitens des VN kein Eingriff in ein absolut geschütztes Rechtsgut geltend gemacht wird. Es sei daher von einem reinen Vermögensschaden auszugehen und für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden, gilt nach Art. 2.3 ARB Verstoßtheorie. Dementsprechend ist der Versicherungsfall nach dem tatsächlichen oder behaupteten Verstoß des VN, des Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften festzulegen. Der hier relevante Verstoß liegt nach den aktuellen Entscheidungen des OGH 7 Ob 133/21s und 7 Ob 95/21b aber nicht bereits im Zeitpunkt der Herstellung des Fahrzeugs. Für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Autohersteller wegen verbotener Abgasmanipulationssoftware in diesen Fahrzeugen ist nach der Verstoßtheorie der Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs relevant; erst mit diesem Zeitpunkt ist der VN in seinen diesbezüglichen Rechten beeinträchtigt (versdb 2022,28).
3. (Ab) wann verjähren die Ansprüche des VN gegen den Rechtsschutz-Versicherer?
Nach stRspr des OGH beginnt die Verjährung des Anspruchs aus der Rechtsschutzversicherung nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für den Versicherungsnehmer so konkret abzeichnet, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen muss, deretwegen er die Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen will (RIS-Justiz RS0054251. Allgemein zum Beginn der Verjährung RIS-Justiz RS0034343); ab diesem Zeitpunkt beginnt die 3-jährige Verjährungsfrist für den Versicherungsnehmer zu laufen (OGH 7 Ob 164/19x). Dieser Zeitpunkt lässt sich nicht verallgemeinern, er beurteilt sich ausschließlich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (OGH 7 Ob 98/22w).
In der Entscheidung OGH 7 Ob 98/22w (= versdb 2022, 61) ging der VN zunächst davon aus, dass durch ein Software-Update der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben würde, sodass sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Notwendigkeit einer rechtlichen Interessenwahrnehmung konkret abgezeichnet hat. Erst im Zuge einer Rechtsberatung im Juni 2020 wurde diese Notwendigkeit erkannt, sodass die Verjährung erst mit diesem Zeitpunkt begonnen hat.
Abschließend noch ein genereller Hinweis zur Verjährung: Diese ist vom Gericht nicht von Amts wegen geltend zu machen. Will sich eine Vertrags-/Prozesspartei auf die Verjährung eines Anspruchs berufen, dann muss eine entsprechende Verjährungseinrede vorgebracht werden (z.B. RIS-Justiz RS0034326) – dies gilt auch im Versicherungsvertragsrecht.
4. Bestehen für das Vorgehen gegen den Kfz-Hersteller Erfolgsaussichten?
Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des OGH hat dieser zu 7 Ob 25/22t insb. ausgeführt, dass in der Rechtsschutzversicherung bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0081929). Im Deckungsprozess darf die Beweisaufnahme und die Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen nicht vorweggenommen werden; dem Versicherer ist eine vorweggenommene Beweiswürdigung verwehrt (RIS-Justiz RS0124256); dies gilt insbesondere für jene Beweismittel, die in einem hohen Maß der richterlichen Würdigung unterliegen, wie dies bei Zeugen- und Parteiaussagen und Sachverständigengutachten der Fall ist (OGH 7 Ob 236/08v).
Macht der VN also Ansprüche gegen den Hersteller eines mit Dieselmanipulationssoftware ausgestatteten Kfz geltend, wird der Rechtsschutz-Versicherer im Regelfall den Versicherungsschutz nicht wegen mangelnden Erfolgsaussichten verneinen können (so auch in den Entscheidungen OGH 7 Ob 25/22t und 7 Ob 95/21b = versdb 2022, 53).
Ausnahmsweise wird der Versicherer dennoch mangelnde Erfolgsaussichten einwenden können, wenn nämlich das Klagebegehren des VN unschlüssig ist – so wie im Fall OGH 7 Ob 64/22w: Der VN war Leasingnehmer des Fahrzeugs und wollte Versicherungsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Hersteller im Ausmaß einer Wertminderung von 30% des Verkaufspreises (Zahlung) sowie hinsichtlich Spät- und Dauerfolgen (Feststellung). Der OGH ließ hier den Einwand der Erfolgsaussichtslosigkeit gelten, weil sich aus dem VN-Vorbringen nicht schlüssig ableiten hat lassen, warum er als Leasingnehmer zur Geltendmachung des behaupteten Schadenersatzanspruchs gegen den Kfz-Hersteller aktivlegitimiert sei (versdb 2022, 45 und 2022, 46).
Neue Rechtsschutz-Serie von Erwin Gisch
Dieser Beitrag ist Start einer neue Artikelserie mit Schwerpunkt Rechtsschutz von Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA. Der Experte wird ab sofort unter dem Titel „Rechtsschutz im Fokus“ regelmäßig Themen und Problemstellungen in diesem Bereich beleuchten.
Den Beitrag lesen Sie auch in der AssCompact Dezember-Ausgabe!
zurück zur Übersicht
Beitrag speichern
sharing is caring
Das könnte Sie auch interessieren