„E-Mail, Handy, Web: Wir sind dauerabgelenkt statt aufmerksam. Wir reagieren, statt zu agieren. Wir sind überkommuniziert, aber uninformiert“, weiß Anitra Eggler. Nach fast 15 Managerjahren in der Internet-Branche hat sich die Bestseller-Autorin einer Digital-Therapie unterzogen. Am 18. Oktober ist sie beim AssCompact Trendtag in der Pyramide Wien/Vösendorf.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 16.07.2018
Sie haben den Begriff „Digital-Therapie“ erfunden. Was ist das? Was bringt das?
Eine Digital-Therapie therapiert weit verbreitete Kommunikationskrankheiten. Sie hilft Menschen und Unternehmen, den digitalen Segen auszubeuten, für den die digitale Revolution angetreten ist. Ich habe den Begriff 2010 erfunden, um den Menschen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen, dass wir unser Verhalten ändern müssen, wenn wir uns nicht alle in den Wahnsinn treiben möchten.
Warum braucht man eine Therapie, um den digitalen Segen auszubeuten?
Weil wir uns derzeit von den Medienmöglichkeiten sagen lassen, wie wir die Technologien nutzen, und nicht von unserem Menschenverstand. Dadurch entstehen Kommunikationskrankheiten wie Handy-Hysterie, E-Mail-Wahnsinn, Sinnlos-Surf-Syndrom oder Facebook-Inkontinenz – die rauben uns Lebenszeit und Erfolg, beruflich und privat. Beispiel: Nur weil es das Handy ermöglicht, rund um die Uhr erreichbar zu sein, muss ich es ja nicht sein, wenn mir mein Menschenverstand sagt, dass ich mich nicht wie ein Notarzt verhalten muss, weil ich gar kein Notarzt bin.
Aus unternehmerischer Sicht: Nur weil es scheinbar nichts kostet, eine Fanpage anzulegen (in Wirklichkeit kostet es viel, nämlich Zeit, Ressourcen und im schlechtesten Fall Reputation), muss ich das nicht tun, wenn mir meine strategische Weitsicht sagt, dass ich keine Ressourcen für einen weiteren PR-Kanal habe und die Facebook- Seite nur Zeit kostet, aber nicht messbar mehr Umsatz bringt.
Von 1998 bis 2010 waren Sie als Startup- Managerin erfolgreich. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie reif sind für eine Digital-Therapie?
Anfang 2009. Da habe ich Bilanz gezogen und mit Entsetzen festgestellt, dass ich bereits 1,5 Jahre vermailt und 2,5 Jahre versurft hatte. Heute weiß ich, dass ich mir und meinen damaligen Mitarbeitern viel Arbeits- und Lebenszeit hätte sparen können, wenn ich früher kritisch hinterfragt hätte, wie ich die digitalen Medien nutze, wie wir kommunizieren möchten und – noch wichtiger – wie nicht.
Vier Jahre im Netz – wie haben Sie das „geschafft“?
Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Ganz einfach: Ich war der schlimmste E-Mail-Saulus und der größte Informations- Junkie, den Sie sich vorstellen können. Highspeed-Kommunikation und Dauererreichbarkeit habe ich immer als Notwendigkeit, als Wettbewerbsvorteil, als Synonym für Projektmanagement und Dienstleistertugend angesehen. Das hieß: 2do-Listen Samstagnacht, ständig online, auch im Urlaub und im Morgengrauen, ständig auf Dauerrecherche, ständig Grauzonen optimierend, ständig kommunizierend, ständig fordernd, E-Mail als Synonym für Produktivität und Führung missbrauchend – das schien mir ganz normal und mehr noch, es schien mir notwendig. Darunter haben meine Leute gelitten – und meine Lebensqualität.
Wie ist Ihnen der Ausstieg gelungen?
Indem ich mir Zeit genommen habe, ganz kritisch zu hinterfragen, für welches Ziel ich welches Medium oder Gerät einsetzen will. Und: Indem ich dann ganz strikt die Medien und Geräte so konfiguriert habe, dass sie mich auf dem kürzesten Weg zum Ziel bringen. Plus: Ich habe Kommunikationsrituale gebrochen, die sich eingeschlichen hatten. Dinge wie: ständiges Standby-Sein, ständig kommunizieren, auch im Urlaub, oder E-Mails checken, auch wenn man gar keine Zeit hat zu antworten, z. B. im Straßenverkehr. Und ganz wichtig: Schluss mit dem Multitasking! Heute bin ich, gleich was ich tue, wieder zu 100% bei der Sache: Wenn ich esse, esse ich, wenn ich telefoniere, telefoniere ich, wenn ich maile, maile ich – ich versuche nicht mehr, alles gleichzeitig und dadurch nichts mehr richtig zu machen. Diese Aufmerksamkeit für andere, dieses Präsent-und-dabeimenschlich-Sein, ist ganz sicher einer meiner Erfolgsfaktoren.
Ihr Tipp lautet also abschalten?
Ja, Abschalten ist extrem wichtig. Ständig wird so getan, als sei Multitasking eine Karrieretugend. Sehen Sie sich Stellenanzeigen an: Da wird nach der Krake gesucht, die 666 Dinge auf einmal tun kann. Das ist irr. In meinen Augen zählt es heute zur unternehmerischen Verantwortung, den Leuten zu sagen: Wir wollen keine ständige Erreichbarkeit. Ständige Erreichbarkeit ist für mich inzwischen Synonym für miserables Zeitmanagement. Nur Sklaven sind ständig erreichbar. Das ist ein falscher Karriere-Götze, der gestürzt werden muss. Besser investieren Sie in einen Funklochraum, wo Mitarbeiter ungestört konzentriert arbeiten können.
Tipps für die digitale Balance beim AssCompact Trendtag
Das Interview ist in voller Länge in der AssCompact Juli-Ausgabe erschienen. Unter dem Titel „Mail halten! Die besten Tipps für Ihre digitale Balance. Bessere Kussbilanz inklusive“ referiert Anitra Eggler beim AssCompact Trendtag am 18. Oktober in der Pyramide Wien/Vösendorf. Sichern Sie sich bereits jetzt Ihre kostenlose Teilnahmeberechtigung unter www.asscompact.at/trendtaganmeldung.
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