Dr. Günter Geyer, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Vienna Insurance Group, spricht im Interview über aktuelle Herausforderungen und zukünftige Trends in der Versicherungsbranche, wie private Krankenversicherung, Nachhaltigkeit bei Investitionen und private Altersvorsorge.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 14.03.2024
Dr. Günther Geyer ist seit 50 Jahren in der Versicherungsbranche und hat diese maßgeblich mitgestaltet. Seine berufliche Laufbahn startete er in der Revision der Wiener Städtischen: „In Rahmen dieser Tätigkeit habe ich alle Bereiche des Unternehmens durchlaufen. Von Abteilung zu Abteilung wuchs meine Begeisterung, da mir bewusst wurde, dass es wohl keinen anderen Berufsbereich gibt, der eine solche Vielfalt an Themen umfasst, die den Menschen beschäftigen.“
Dennoch ist das Image der Versicherungsbranche in der Bevölkerung nicht besonders gut. Geyer vermutet, dass dies darauf zurückzuführen sein könnte, dass Versicherungen häufig mit theoretischen Konzepten und komplexen Themen arbeiten, die nicht leicht verständlich sind, was zu einem trockenen Image beiträgt: „Versicherung ist zudem äußerst komplex. Trotzdem wird die Branche in Bezug auf Beratung und persönlichen Kontakt positiv wahrgenommen. Da sich Versicherung jedoch oft mit äußerst komplexen Themen auseinandersetzt, gestaltet es sich schwierig, diese in der Beratung verständlich zu vermitteln. Insgesamt hat sich jedoch das Image der Versicherungsbranche in den letzten Jahren deutlich verbessert.“
„Der Klimawandel gewinnt vor allem in der Schadenregulierung an Bedeutung“
In Zeiten von Inflation, politischen Unruhen und der Pandemie stehen die Versicherungsunternehmen vor einer Reihe von Herausforderungen, die weitreichende Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit haben. Besonders im Bereich der Schadensregulierung gewinne laut Geyer das Thema des Klimawandels zunehmend an Bedeutung: „Daher wäre es in Österreich von Vorteil, wenn seitens des Staates eine Mitdeckung angeboten würde, wie sie auch in anderen Ländern praktiziert wird. Bezüglich der Politik wäre es wünschenswert, dass Politiker stärker miteinander in Dialog treten und sich bemühen, Kompromisse zu finden, die für alle akzeptabel sind, und weniger die Gegensätze betonen.“
„Fachkräftemangel in der Versicherungsbranche erfordert innovative Lösungen“
Der Fachkräftemangel stellt eine der größten Herausforderungen für die Versicherungsbranche dar und erfordert innovative Ansätze, um dem entgegenzuwirken. Dr. Geyer betont, dass die junge Generation in einer digitalisierten Welt aufwächst und finanziell oft besser aufgestellt ist als frühere Generationen. Dies führe dazu, dass viele junge Menschen weniger Druck verspüren, schnell hohe Einkommen zu erzielen. Er verweist außerdem auf erfolgreiche Initiativen der Vienna Insurance Group, um attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen und talentierte Fachkräfte langfristig zu binden: „Vor genau 50 Jahren hat unser Haus den ersten Betriebskindergarten in Österreich gegründet. Seitdem haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder ganztags betreuen zu lassen. Bei uns herrscht außerdem gleiche Bezahlung für gleiche Tätigkeiten. In der Wiener Städtischen ist die Hälfte des Vorstands weiblich. In einigen unserer Nachbarländer sind sogar noch mehr Frauen in Führungspositionen vertreten. Auch in Bezug auf das Thema Gender sollte die Politik aktiver werden und entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen schaffen.“
Die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der Versicherungsbranche
Für Dr. Geyer stelle Künstliche Intelligenz einen bedeutenden Fortschritt dar, sofern sie positiv eingesetzt wird: „Ich teile nicht die Ansicht, dass sie Arbeitsplätze reduziert. Vielmehr schafft sie zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Bereich und erleichtert andere Tätigkeiten. Für die Versicherungsbranche bietet KI vor allem Vorteile in den Bereichen Verwaltung, Schadenabwicklung und Kundenkontakt. Ein Nachteil ist jedoch die zunehmende Cyberkriminalität, gegen die entsprechende Vorsichtsmaßnahmen erforderlich sind.“
Digitalisierung generell sei laut Dr. Geyer vor allem für Verwaltungsabläufe und die Identifizierung von Risikokomponenten wichtig: „Obwohl digitale Unterstützung zur Vorbereitung von Kundenkontakten hilfreich sein kann, bleibt das persönliche Gespräch von entscheidender Bedeutung. Denn wenn alles ausschließlich telefonisch oder per E-Mail abläuft, neigen Kunden dazu, nur noch auf die Preise zu achten. Auch das Arbeiten im Homeoffice hat seine Vorzüge und war insbesondere während der Pandemie unumgänglich. Allerdings zeigt sich mittlerweile eine Tendenz zurück ins Büro.“
Die Megatrends in der Versicherungsbranche: Ein Blick in die Zukunft
Für Dr. Geyer gehört vor allem die steigende Bedeutung der privaten Krankenversicherung bis hin zur verstärkten Nachfrage nach Telemedizin zu den zukünftigen Megatrends in der Versicherungsbranche: „In Österreich liegt das durchschnittliche Prämienvolumen bei rund 2.000 Euro pro Jahr, während es in Albanien etwas über 50 Euro beträgt. Dort verzeichnet man einen steigenden Lebensstandard und einen positiven Trend nach oben. Dies wird auch zu einer Zunahme der privaten Krankenversicherung führen. Generell gewinnt das Thema private Krankenversicherung zunehmend an Bedeutung, ebenso wie die steigende Nachfrage nach Telemedizin.“
Ein weiterer wichtiger Trend sei laut Dr. Geyer die steigende Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Investitionen sowie das wachsende Bewusstsein für private Altersvorsorge: „Das Thema Vorsorge hat besonders in Österreich einen hohen Stellenwert. Obwohl wir eine gute Sozialversicherung haben, ist es dennoch ratsam, dass jeder, der es sich leisten kann, zusätzlich für die private Altersvorsorge sorgt.“
Günter Geyer verlängert Aufsichtsratsmandat nicht
Kürzlich wurde bekanntgegeben, dass das Aufsichtsratsmandat von Dr. Günter Geyer am 24. Mai 2024 mit der ordentlichen Hauptversammlung endet. Die Wahl des neuen Aufsichtsratsvorsitzes erfolgt im Rahmen der konstituierenden Aufsichtsratssitzung im Anschluss an die Hauptversammlung. Dr. Günter Geyer, Jahrgang 1943, hat den Ausbau der Vienna Insurance Group zur führenden Versicherungsgruppe in Zentral- und Osteuropa über viele Jahre maßgeblich geprägt. Der promovierte Jurist trat 1974 in die Wiener Städtische ein, wurde 1984 Generalsekretär der Wiener Städtischen und 1988 in deren Vorstand berufen. Von 2001 bis 2010 lenkte Geyer als Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender die Geschicke der Städtischen, von 2010 bis 2012 wirkte er als Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der Vienna Insurance Group. Seit 2014 ist Geyer Aufsichtsratsvorsitzender der Vienna Insurance Group.
Das gesamte Interview lesen Sie in der AssCompact März-Ausgabe!
Foto oben v.l.n.r.: . Günter Geyer, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Vienna Insurance Group, mit AssCompact Herausgeber Franz Waghubinger
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