Das Handelsgericht Wien hat über die Nachhaftung des Rechtsschutzversicherers aus einem vor elf Jahren stornierten Vertrag entschieden. Laut dem – nicht rechtskräftigen – Urteil kann sich der Versicherer nicht auf eine zeitliche Begrenzung berufen.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 19.04.2019
Im Juli 2007 schloss der Kläger bei einem britischen Anbieter eine Lebensversicherung ab. Einen Monat später stornierte er seine damals bestehende Rechtsschutzversicherung. Im Februar 2018 kündigte der Mann seine Lebensversicherung. Wegen des „auffallend geringen Auszahlungsbetrags von nur 75% der einbezahlten Prämien“ sei er durch die Medien erstmals auf die Möglichkeit aufmerksam geworden, wegen unrichtiger Rücktrittsbelehrung von der Lebensversicherung zurückzutreten.
Nachdem der Lebensversicherer die geforderte Rücküberweisung der bislang getätigten Einzahlungen samt vier Prozent Zinsen ablehnte, wollte der Kunde gegen ihn gerichtlich vorgehen. Der Rechtsschutzversicherer lehnte hierfür die Deckung ab und handelte sich eine Klage ein.
Zeitliche Beschränkung unzulässig
Das Handelsgericht Wien gab dem Kläger Recht und bestätigte die Deckungspflicht des Versicherers. Bei den vom Kläger geltend gemachten Rückzahlungsansprüchen handle es sich um reine Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstanden seien. Entgegen der Ansicht der beklagten Versicherung fallen die Ansprüche daher unter den Deckungsbaustein „Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz“ (Art 23) und seien von der Rechtsschutzversicherung erfasst.
Die in den Allgemeinen Bedingungen enthaltene zeitliche Beschränkung der Nachhaftung (Art 3 Abs 3 ARB 2001) habe der OGH in einem Urteil für unwirksam erklärt (7 Ob 201/12b). Der Versicherer könne sich daher nicht auf sie berufen.
Meldung nach acht Tagen noch „unverzüglich“
Umstritten war auch, ob die Meldung des Klägers – nämlich eine Woche nach Erhalt des den Rücktritt ablehnenden Schreibens der Versicherung – noch unverzüglich iSd § 33 VersVG war. Der Lebensversicherer brachte dazu vor, dem Kläger sei bereits nach anwaltlicher Beratung und Rücktrittserklärung am 27. April 2018 bewusst gewesen, dass der Lebensversicherer den Rücktritt zurückweisen werde. Der Kläger hätte ihm daher spätestens dann den Schaden unverzüglich melden müssen.
Das Handelsgericht stellte fest, dass den Versicherungsnehmer erst ab positiver Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls eine Anzeigepflicht treffe. Das sei gegenständlich erst ab Erhalt des den Rücktritt zurückweisenden Schreibens des Lebensversicherers am 14. Mai 2018 der Fall. Vor diesem Zeitpunkt habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass der Lebensversicherer den Rücktritt annehmen und die geforderten Zahlungen leisten würde. Die Meldung acht Tage nach Erhalt des Schreibens sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung noch als „unverzüglich“ zu bewerten. Selbst eine Verspätung von wenigen Tagen sei aber nicht grob fahrlässig und könne daher den Versicherer nicht von seiner Leistungspflicht entbinden.
Ansprüche nicht verjährt
Auch die vom Versicherer eingewandte Verjährung der Ansprüche wies das Gericht zurück. Die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 12 Abs 3 VersVG) gelte nur im Fall des Hemmungstatbestandes (§ 12 Abs 2 VersVG). Die in § 12 Abs 1 VersVG normierte absolute Verjährungsfrist betreffe demgegenüber nur Ansprüche von Dritten. Beides sei gegenständlich nicht einschlägig und die Verjährung der behaupteten Ansprüche daher nicht eingetreten.
Keine Berufung auf mangelnde Erfolgsaussichten
Das Gericht verwarf auch den Einwand mangelnder Erfolgsaussichten. Der beabsichtigten Klage seien aufgrund der uneinheitlichen Judikatur erster und zweiter Instanz und des Fehlens von höchstgerichtlichen Entscheidungen zur Problematik des Rücktritts bei Lebensversicherungen, insbesondere auch bei bereits gekündigten Verträgen, hinreichende Erfolgsaussichten beschert.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
HG Wien 27.03.2019, 63 Cg 96/18i / VKI
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