Der Konjunkturausblick hat sich im Laufe des Jahres stetig verbessert. Die weltweite Erholung von der pandemiebedingten Rezession nahm an Tempo auf. Darüber hinaus wurden die fiskalischen Stimulierungsmaßnahmen verstärkt, was die Wirtschaft auf kurze Sicht ankurbelt. Dennoch sind die Abwärtsrisiken nicht verschwunden – wie die Schwierigkeiten bei der Eindämmung der Pandemie in einigen Ländern Asiens und Lateinamerikas zeigen.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 03.08.2021
Von Silvia Dall’Angelo, Senior Economist bei Federated Hermes (Foto)
Das Tempo von heute – ein Spiegel von 2020
Im April hob der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft im Jahr 2021 um einen halben Prozentpunkt auf 6% an. Dies spiegelt die Fortschritte bei den Impfprogrammen sowie die neuen fiskalischen Maßnahmen zum Ende des ersten Quartals wider (insbesondere ein 1,9-Billionen-Dollar-Paket in den USA). Nach jüngsten Daten und Umfragen befindet sich die Weltwirtschaft auf dem besten Wege, diese Schätzung zu erreichen. Vor allem der Purchasing Managers Index (PMI) stieg seit Jahresbeginn um mehr als sechs Punkte und erreichte 58,4 im Mai und damit ein 15-Jahres-Hoch.
Das Tempo der aktuellen Erholung muss im Kontext betrachtet werden: Die Weltwirtschaft erholt sich schnell von einem starken Einbruch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres. Was wir jetzt sehen, ist also gewissermaßen das Spiegelbild der Entwicklung im Jahr 2020.
Schwellenländer hinken hinterher
Die bemerkenswerteste Divergenz hat sich zwischen Schwellenländern und Industrieländern entwickelt.
Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich deutlich aufgehellt und die Erholung von der gravierendsten Rezession seit Jahrzehnten hat erhebliche Fortschritte gemacht. Dennoch: Die Unterschiede zwischen und innerhalb von Regionen, Ländern und Sektoren sind geblieben – in einigen Fällen sogar noch größer geworden. Die auffälligste Divergenz hat sich zwischen den Industrieländern und den Schwellenländern herausgebildet. Letztere hinken bei der Erholung hinterher. Das spiegelt die unterschiedlichen Fähigkeiten wider, die notwendigen Ressourcen zur Bewältigung der Krise zu erschließen. Auf kurze Sicht ist die zunehmende Kluft zwischen Schwellenländern und Industrieländern eine Schwachstelle für die Erholung. Dies könnte längerfristig zu deutlichen strukturellen Schieflagen führen. Auch wenn die Schwellenländer differenziert zu betrachten sind: Im Allgemeinen wirken sie verwundbar, da ihnen die Ressourcen fehlen, um die Pandemie kurzfristig zu bewältigen und längerfristig eine umfassende und nachhaltige Erholung zu gewährleisten.
Industrieländer gespalten
Innerhalb der Industrienationen hat sich die Schere zwischen den USA und der Eurozone vergrößert. Die US-Wirtschaft wird im Laufe des Jahres stark an Fahrt aufnehmen und bis zum Jahresende den Wachstumskurs der Vorkrisenzeit erreichen. Im Gegensatz dazu erlebte die Eurozone eine Double- Dip-Rezession. Aber die Aufholjagd hat gerade erst begonnen – und wahrscheinlich wird das Vorkrisenniveau in der ersten Hälfte des kommenden Jahres in Reichweite sein. Diese Divergenz spiegelt die strukturellen und institutionellen Unterschiede aus der Zeit vor der Krise, sowie die Unterschiede bei der Einführung von Impfstoffen und der Umsetzung von Fiskalpaketen wider. Anstehende Wahlen in Europa (Deutschland im September 2021 und Frankreich im Frühjahr 2022) werden die politischen Gleichgewichte und die institutionelle Entwicklung beeinflussen. Die Schere zwischen dem verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor – wobei letzterer am stärksten von der Krise betroffen ist – beginnt sich gerade zu schließen. Wenn sich die Wirtschaft wieder erholt, wird der Dienstleistungssektor zum verarbeitenden Gewerbe aufschließen. Innerhalb der Industrienationen macht der Dienstleistungssektor etwa drei Viertel aus. Daher ist der Schlüssel zu einer schnellen Erholung in der Wachstumsrotation vom verarbeitenden Gewerbe zum Dienstleistungssektor zu finden.
Wiederaufbau: Wo stehen wir?
Es besteht das Risiko, dass die Weltwirtschaft zu einem Makroszenario aus der Zeit vor Covid-19 zurückkehrt, da die fiskalischen Maßnahmen längerfristige Probleme weitgehend ausgeblendet haben.
‚Build back better‘ lautete die Antwort auf die Covid-19-Krise. Unklar bleibt: Ob konsequente politische Maßnahmen einen grünen und integrativen Aufschwung begünstigen. Die meisten fiskalischen Maßnahmen waren kurzfristig ausgerichtet und konzentrierten sich auf den Arbeitsmarkt. Solche Maßnahmen haben eine stärkere Kontraktion der Weltwirtschaft verhindert – nach Schätzungen des IWF wäre das globale BIP im Jahr 2020 um 9% statt um 3,5% geschrumpft, wenn keine fiskalischen Maßnahmen ergriffen worden wären. Auf kurze Sicht wurden somit die schwächsten Arbeitnehmer geschützt.
Maßnahmen, die auf längerfristige Probleme abzielen? Rar. Es besteht daher das Risiko, zu einem makroökonomischen Szenario aus der Zeit vor COVID-19 zurückzukehren: Geprägt von einem schleppendem Produktivitätswachstum (insbesondere in den Industrienationen), steigenden Ungleichheiten und einer drohenden Klimakrise. Zunächst einmal ist unklar, ob die politischen Entscheidungsträger eine langfristige Strategie für den Arbeitsmarkt ausgearbeitet haben. Die Krise hat die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt verschärft und trifft auf unverhältnismäßig viele ohnehin schon schwache Gruppen. Also Sektoren mit einem hohen Anteil an Niedriglöhnen und gering qualifizierten Arbeitsplätzen, sowie Frauen. Während kurzfristige Maßnahmen einen gewissen vorübergehenden Schutz geboten haben, sind langfristige Maßnahmen zur Umschulung und Weiterbildung erforderlich, um langfristige Folgen, weitere Produktivitätsverluste und anhaltende Ungleichheiten zu vermeiden. Darüber hinaus könnten Online-Learning und ungleicher digitaler Zugang zu einer langfristigen Beeinträchtigung des Arbeitsmarktes führen, weshalb es dringend notwendig ist, die durch die Krise entstandenen Bildungslücken zu schließen.
„Der EU-Konjunkturfonds beabsichtigt, etwa 30% der Mittel für eine grünere Wirtschaft sowie zur Unterstützung des Netto-Null-Ziels zu verwenden.“
Zwei aktuelle Berichte der UN und von Vivid Economics deuten darauf hin, dass die bisherigen politischen Bemühungen die Chance eines besseren Wiederaufbaus weitgehend verpasst haben. Insbesondere die Analyse von Vivid zeigt: Bis Februar 2021 angekündigte fiskalische Anreize werden in den meisten analysierten Ländern, darunter 15 der G20– Volkswirtschaften, einen negativen Nettoeffekt auf die Umwelt haben.
Fazit und Ausblick: grünes Licht am Horizont
Die Krise hat die politischen Entscheidungsträger dazu gezwungen ein Rahmenwerk für den Umgang mit Krisen zu schaffen, das entscheidend auf einer Koordinierung der Fiskal- und Geldpolitik beruht. In Zukunft kann der Rahmen angepasst und erweitert werden, um langfristige Themen und Projekte anzugehen.
Angekündigte oder bevorstehende Programme beinhalten einen Fokus auf Nachhaltigkeit mit einem längerfristigen Zeithorizont. Zum Beispiel beabsichtigt der EU-Konjunkturfonds, etwa 30% der Mittel für die Ökologisierung der Wirtschaft und die Unterstützung einer Netto-Null-Wirtschaft einzusetzen – obwohl erste Auszahlungen darauf hindeuten, dass die Bemühungen weitgehend zurückgestellt werden. Außerdem wird der Infrastrukturplan, an dem die US-Regierung arbeitet, einen starken grünen Anstrich enthalten.
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