Krankenversicherungsverträge können in der Regel vom Versicherer nicht gekündigt werden. Falls der Versicherer mit der Prämie nicht mehr auskommt, hat er auch die Möglichkeit einer Leistungskürzung. Was dabei zu beachten ist, hat der OGH in 7 Ob 210/22s vom 21.02.2023 skizziert.
Artikel von:
Dr. Wolfgang Reisinger
Lektor WU Wien und der Donau-Universität Krems
Am 10.9.2020 richtete der Versicherer folgendes Schreiben an den Versicherungsnehmer (VN): „Wir sind gesetzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass mit den Prämien aus Krankenversicherungsverträgen die Dauer der Erfüllbarkeit der Leistungsverpflichtung gewährleistet ist. Aus dieser Verpflichtung heraus ist eine Anpassung Ihrer Krankenversicherung aus folgenden Gründen notwendig: Allgemeine häufige Inanspruchnahme von Leistungen; Veränderung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Da Sie sich bereits in der Vergangenheit gegen eine Prämienanpassung ausgesprochen haben, erfolgt diese Anpassung nun mit Wirkung ab 01.10.2020 bei gleichbleibender Prämie durch die Erhöhung Ihres Selbstbehaltes auf 50%. Ihre Prämie bleibt unverändert.“
Der VN begehrt, dem Versicherer die vorgenommene Erhöhung des Selbstbehaltes zu verbieten. Das Ausmaß der Reduktion sei nicht nachvollziehbar. Der Versicherer hätte eine mathematische Aufschlüsselung vornehmen müssen, aus der sich der neue Selbstbehalt errechnen lasse.
Entscheidungsgründe
Unabhängig von der Möglichkeit der Verbandsklage nach § 178g VersVG steht es auch den einzelnen VN frei, sich gegen eine gesetz- oder vertragswidrige Vertragsanpassung durch den Versicherer zur Wehr zu setzen. Gegenstand der Überprüfung im gegenständlichen Prozess ist damit, ob die Voraussetzungen für die betragliche Änderung des Versicherungsschutzes durch die Beklagte vorlagen und ob das Ausmaß zutreffend ermittelt wurde. Im Verfahren sind die relevanten Faktoren, die für die Preisbestimmung und Ausgestaltung der vereinbarten Klausel maßgeblich waren, vom Versicherer konkret und nachvollziehbar darzulegen. In diesem Sinn wird das Erstgericht die Rechtssache im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern und die Vertragsänderung durch die Beklagte – wohl unter Beiziehung eines Sachverständigen – zu überprüfen haben.
Kommentar
Während die Unterinstanzen das Klagebegehren relativ kursorisch mit dem Hinweis abwiesen, dass die Anpassungsklausel dem Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG entspricht, befasst sich der OGH lang und breit mit dem Regelungsinhalt dieses § 178f VersVG. Dieser regelt, unter welchen Voraussetzungen der Versicherer berechtigt ist, die Prämie nach Vertragsabschluss einseitig zu erhöhen oder den Versicherungsschutz einseitig zu ändern. Das kann etwa der Fall sein, wenn sich der im Vertrag genannte Index oder die durchschnittliche Lebenserwartung ändert oder wenn die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Leistungen durch den VN ein vertraglich vereinbartes Ausmaß übersteigt. Wie der OGH richtig feststellt, besteht der Zweck dieser Bestimmung darin, einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Interessen des Versicherers und jenen des VN herzustellen. Der VN muss aber die Änderungen durch den Versicherer nicht ungeprüft hinnehmen. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen mit dem Hinweis auf die bis dato offene Frage, ob dem VN die für die Änderung maßgeblichen Umstände nachvollziehbar darzulegen sind. Dies wurde vom OGH bejaht, sodass dem zweiten Rechtsgang mit Interesse entgegengeblickt werden kann.
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