Die Feststellung des Invaliditätsgrades in der Unfallversicherung ist keine einfache Sache, weil die Gesundheitsschädigung im Laufe der Zeit besser oder schlechter werden kann und davon auch die Versicherungsleistung abhängt. Nach einer vertraglich festgesetzten Zeit ist aber damit Schluss (OGH 7 Ob 173/18v).
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 23.04.2019
Von Dr. Wolfgang Reisinger
Sachverhalt
Nach den AVB sind sowohl die versicherte Person als auch der Versicherer berechtigt, den Invaliditätsgrad bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen. Der VN hat zwar rechtzeitig vor Ablauf der vierjährigen Risikobegrenzungsfrist einen Neubemessungsantrag gestellt, das Erstgericht hat jedoch festgestellt, dass eine Verschlechterung seines Zustandes erst nach Fristablauf eingetreten ist. Der Versicherer lehnte eine (weitere) Leistung ab. Die Deckungsklage des VN blieb in allen Instanzen erfolglos.
Entscheidungsgründe
Wird die Antragstellung auf Neubemessung innerhalb von vier Jahren ab dem Unfalltag versäumt, bleibt es bei der bisherigen Bemessung des Invaliditätsgrades. Ein allenfalls von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad ist nur dann zu bemessen und zu berücksichtigen, wenn dies bis zu vier Jahre ab dem Unfalltag vom Versicherten oder vom Versicherer begehrt wird. Kommt es zu einer Neubemessung, so ist der Invaliditätsgrad zur Zeit der Neufeststellung maßgebend, die bis maximal zum Ablauf der dafür vereinbarten Frist erfolgen kann. Maßgeblich ist also der Invaliditätsgrad bis maximal zum Ablauf der hier vereinbarten Vierjahresfrist. Eine (weitere) Neubemessung für einen Zeitpunkt nach Fristablauf ist ausgeschlossen und daher der Invaliditätsgrad zu einem späteren Zeitpunkt, etwa der aktuelle Invaliditätsgrad, unerheblich.
Kommentar
Die (knappe) Zurückweisung der Revision ist widersprüchlich. Einerseits stellt der OGH fest, dass die Antragstellung auf Neubemessung innerhalb von vier Jahren ab dem Unfalltag erfolgen muss, andererseits wird auf die Entscheidung 7 Ob 195/14y verwiesen, nach der die Formulierung „ärztlich neu bemessen zu lassen“ auf die tatsächliche Durchführung und nicht auf das darauf gerichtete Begehren abstellt. Nach dieser Vorentscheidung ist der Antrag auf Neubemessung nur dann fristgerecht, wenn er so rechtzeitig gestellt wird, dass die ärztlichen Untersuchungen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge noch vor Ablauf der Frist möglich sind. Damit begeben sich aber sowohl Versicherer als auch VN in die Abhängigkeit des Sachverständigen. Vor allem der VN wird nicht wirklich beurteilen können, wie lange ein medizinischer Sachverständiger zur „Neubemessung der Invalidität“ braucht.
Wesentlich klarer wäre es, auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, der innerhalb der Vierjahresfrist liegen muss. Wann letztendlich die Feststellung der Invalidität erfolgt, sollte nicht maßgeblich sein. Besser wäre daher die Formulierung „sowohl die versicherte Person als auch der Versicherer sind berechtigt, bis vier Jahre ab dem Unfallstag einen Antrag auf Neubemessung des Invaliditätsgrades zu stellen“. Damit hätte man wenigstens einen objektiven Termin, der sowohl vom Versicherer als auch vom VN beeinflusst werden kann. Richtig ist allerdings die Ansicht des OGH, dass der Invaliditätsgrad konkret auf den Zeitpunkt vier Jahre ab Unfalltag abzustellen ist. Dies müsste jedoch einem medizinischen Sachverständigen auch dann möglich sein, wenn die ärztliche Untersuchung erst danach erfolgt.
Der Kommentar erscheint auch in der AssCompact Mai-Ausgabe.
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