Der OGH beschäftigte sich in einer aktuellen Entscheidung (OGH 7 Ob 104/20z, versdb 2020, 60) mit der 72-Stunden-Klausel und präzisierte die Klausel. Der Fall wurde aufgrund fehlender Feststellungen zwar noch nicht entschieden – zwei Kernaussagen des OGH haben allerdings für die Praxis Relevanz.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 14.12.2020
Die Kläger sind jeweils Hälfteeigentümer eines Appartementwohnhauses, das seit Mai 2017 über eine andere Person touristisch vermietet wird. Sie wickelt das Bewerben des Objekts und die gesamte Vermietung ab, bereitet das Appartementhaus – indem sie es auch mit Hilfe ihres Ehegatten reinigt, die Betten bezieht oder den Schnee räumt – gänzlich vor und nach, organisiert den Check-In und Check-Out und hebt die Mietzinse und Kurtaxen ein. In Ausnahmefällen und bei Verfügbarkeit wird das Objekt von den – sonst in Israel aufhältigen – Klägern genutzt.
Zwischen den Klägern und dem beklagten Versicherer besteht – betreffend das Wohnhaus – eine Eigenheimversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 2010/07) und die Allgemeinen Bedingungen für die Leitungswasserversicherung (AWB 2010/07) zugrunde liegen.
Die AWB enthalten u.a. folgende Bestimmung:
„Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vor dem Schadenfall
[…]
2. Werden Gebäude, Wohnungen oder andere Räumlichkeiten mit Wasseranlagen nicht benützt bzw länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen, sind alle Wasserzuleitungen abzusperren und geeignete Maßnahmen gegen Frostschäden zu treffen. Eine fallweise Begehung der Gebäude, der Wohnungen oder der betroffenen Räumlichkeiten genügt nicht.
[…]“
Am 7. 12. 2017 suchte die Person, welche die Vermietung organisiert, gegen 10:30 Uhr das Appartementhaus auf, weil es am 9. 12. 2017 gereinigt werden sollte. Sie aktivierte die Heizkörper, drehte den Zentralwasseranschluss und den Boiler auf und vor ihrem Verlassen des Hauses nach etwa 30 Minuten nicht wieder ab. Am späten Nachmittag des 7. 12. 2017 begab sich ihr Ehemann in das Appartementhaus, um einen Reinigungsspray zu holen, er verließ dieses nach etwa 4 Minuten wieder. Anzeichen eines Wasserschadens bestanden zu diesem Zeitpunkt nicht. Da die geplante Reinigung am 9. 12. 2017 nicht durchgeführt wurde, blieb das Appartementhaus bis 10. 12. 2017 unbesucht. Am 10. 12. 2017 gegen 14 Uhr entdeckte ein Nachbar Durchfeuchtungsschäden an der Fassade und meldete dies.
Der Schaden trat unstrittig nach Ablauf von 72 Stunden ein. Der Fall wurde vom OGH aber noch nicht abschließend entschieden, weil Feststellungen der Vorinstanzen – insbesondere im Hinblick auf ein mögliches (Organisations-) Verschulden der Kläger – noch fehlten. Im Versicherungsvertrag war Leistungsfreiheit bei dieser Obliegenheitsverletzung erst ab grober Fahrlässigkeit vereinbart.
Im Zusammenhang mit der Verletzung der 72-Stunden-Klausel (vorbeugende Obliegenheit) sind aber folgende Kernaussagen des OGH jedenfalls von Interesse:
Keine Haftung des VN für Verschulden eines Dritten
OGH: Voranzustellen ist, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Deutschland entwickelte Repräsentantentheorie aus dem VersVG nicht ableitbar ist. Das Verhalten eines Dritten kann daher nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. Die selbstständige Ausführung eines Auftrags durch einen Erfüllungsgehilfen ist dem Versicherungsnehmer nicht zuzurechnen. Eine Obliegenheit ist keine Erfüllungshandlung im Sinn des § 1313a ABGB. Ungeachtet der Ablehnung der Repräsentantentheorie ist dem Versicherungsnehmer aber in Bezug auf Obliegenheiten das Verhalten jener zuzurechnen, die er zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt hat. Dies wurde zum Beispiel bei einem Hausverwalter vom OGH bereits bejaht.
Der Verschuldensgrad der Kläger wurde vom OGH – wie erwähnt – aber noch nicht abschließend beurteilt, weil Feststellungen der Vorinstanzen – insbesondere im Hinblick auf ein mögliches (Organisations-) Verschulden der Kläger – noch fehlten.
Keine Leistungsfreiheit, bei Wasserschaden innerhalb von 72 Stunden
Der Versicherer nimmt nach Ansicht des OGH nach den Versicherungsbedingungen in Kauf, dass das Haus bis zu 72 Stunden, also volle drei Tage, nicht bewohnt wird und während dieser Zeit auch keine Beaufsichtigung erfolgt. Tritt daher der Versicherungsfall (Austreten von Wasser) bereits innerhalb der ersten 72 Stunden ein, dann wäre die Obliegenheitsverletzung (Nichtabsperren bei einer Abwesenheit von mehr als 72 Stunden) nicht kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls dem Grunde nach, sondern nur für den Umfang der Versicherungsleistung im Ausmaß des Schadenseintritts nach Ablauf der 72 Stunden. Erfolgt der Wasseraustritt aber erst nach Ablauf der ersten 72 Stunden, dann wäre die Obliegenheitsverletzung kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls dem Grunde nach und der Versicherer zur Gänze leistungsfrei.
Mit diesen beiden Argumenten wird man in einigen Fällen trotz nicht erfolgtem Absperren der Wasserleitungen Deckung aus der Leitungswasserversicherung erhalten.
Autor: Ewald Maitz (Foto), MLS – www.knowhow-versicherung.at
versdb – Datenbank: www.versdb.at
versdb – Zeitschrift: www.versdb.at/print
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