Unsere Branche hat es eigentlich sehr gut. Sofern man den Verbandsstatistiken Glauben schenkt, können wir uns ein konstantes Wachstum attestieren. Zeit um uns selbst auf die Schultern zu klopfen und die 2016 viel diskutierten Themen wie Solvency und Compliance ins Regal zu stellen und dort endabzulegen? Weit gefehlt!
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 11.12.2017
von Mag. Christian Cencic, Underwriter bei der Donau Versicherung AG Vienna Insurance Group*
Tatsächlich steht die gesamte Branche vor der größten Herausforderung bisher. Mit der IDD werden völlig neue Mechanismen ins Spiel gebracht – alle unter dem Deckmantel des Schutzes des Konsumenten. Kommuniziertes Ziel der Richtlinie ist es die Beratungsqualität zu steigern, sicherzustellen, dass die relevanten Informationen beim Versicherungsnehmer ankommen oder überspitzt formuliert: zu gewährleisten, dass irgendjemand haftet, sofern diese Pflichten vernachlässigt werden.
Versicherer muss Makler „beurteilen“
Für die Versicherer bedeutet dies vorrangig die Schaffung von Produktinformationsblättern gemäß dem standardisierten IPID (Insurance Produkt Information Dokument), die Definition von Zielmärkten in ihren Produkten und die Sicherstellung, dass sowohl die eigenen als auch die externen Vertriebseinheiten in der Lage sind, die eigenen Produkte zu verstehen und zu verkaufen. Dies führt zum Kuriosum, dass der Versicherer zu beurteilen hat, ob ein Versicherungsmakler in der Lage ist seine Produkte überhaupt verkaufen zu können.
Kundenentscheidung umfassend dokumentieren
Im Vertrieb bedeutet es neben der Ergründung seiner Zielkunden auch die Schaffung von Schulungsplattformen und Dokumentationssystemen. Von Mehrfachagenten und Versicherungsmaklern werden zudem ein qualitativer Vergleich der unterschiedlichen Marktprodukte sowie eine exakte Dokumentation desselben erwartet. Dazu zählen sowohl positive Entscheidungen für eine bestimmte Deckung wie auch negative Entscheidungen gegen einen bestimmten Baustein. Genau diese negative Dokumentation ist aus haftungsrechtlicher Sicht sehr wichtig, um später belegen zu können, dass eine bestimmte Deckung thematisiert wurde, sich der Versicherungsnehmer jedoch bewusst dagegen entschieden hat. Offen bleibt, wie mit dem individuellen Bedarf des Konsumenten zu verfahren ist, wenn das Bedürfnis für eine Deckung besteht, die standardisiert in allen Produkten fehlt. Bei Kenntnis dieses besonderen Bedürfnisses ist auf die mangelhafte Deckung wohl hinzuweisen.
Bis zu vier Stunden Zeitaufwand pro Vertrag
Ein verlässlicher Vergleich des Deckungsumfangs sämtlicher Eigenheimprodukte mit sämtlichen Bausteinen und Erweiterungen am österreichischen Markt erscheint dabei in einem völlig neuen Licht. Selbst wenn dieser Vergleich korrekt angefertigt wurde, ist es mit einem gehörigen Aufwand verbunden diesen stets auf dem aktuellen Stand zu halten. Gepaart mit der erhöhten Dichte der zu dokumentierenden Fakten wird damit ein erhebliches Pensum an Zeit für die Beratung eines einzelnen Accounts notwendig, wobei stets die Wahrscheinlichkeit zu fakturieren ist, dass der eine oder andere Abschluss unterbleibt. Pessimistische Schätzungen gehen von bis zu vier Stunden Zeitaufwand je Vertragsabschluss aus, bei dem durchschnittlichen Provisionsaufkommen ist es wohl naheliegend, dass der Ertrag vor allem bei Geschäft mit Konsumenten ausbleibt.
Einzelkämpfer werden es schwer haben
Was sind mögliche Konsequenzen daraus? Nach dem Motto „Size matters“ sind durch die neue Gesetzgebung große Strukturen eindeutig bevorzugt. Auf der einen Seite werden deswegen vertriebliche Dachorganisationen, welche die nunmehr überlebensnotwendige Infrastruktur für den notwendigen fachlichen Hintergrund liefern, zunehmend an Bedeutung gewinnen. Der klassische Einzelkämpfer hat wohl aufgrund der Summe der notwendig werdenden Verpflichtung zur Fortbildung nur die Wahl sich entweder einer solchen Verbindung anzuschließen, sich auf eine Nische zu konzentrieren, oder aber mit einem erheblichen Mehraufwand weniger Geschäft zu lukrieren.
Massiver Aufholbedarf in Österreich
Aber auch die österreichischen Versicherer müssen sich auf gehörige Änderungen einstellen – ein Blick über den großen Teich zeigt: Die Versicherungslösungen im Privatkundenbereich sind primär standardisiert, die in Österreich bekannte Individualität ein Fremdwort, der maßgeschneiderte Versicherungsschutz eine Illusion. Vielmehr ist „Friss oder stirb“ eine treffende Beschreibung. Geschäft wird automatisiert und digital abgeschlossen, die viel beschworene „Selbstversicherung“ ist Großteils Realität. Bessere Kostenstrukturen und ein minimiertes Haftungsrisiko tragen dazu bei, dass diese angloamerikanische Herangehensweise langsam aber sicher auch in Zentraleuropa an Fahrwasser gewinnt. Gerade in Österreich besteht dazu massiver Aufholbedarf, wurden doch die Themen Digitalisierung und „big data“ sehr stark vernachlässigt. Die meisten Versicherer wissen – wenn überhaupt – nur grob über ihre geleisteten Entschädigungen Bescheid, die EDV Systeme sind oftmals überaltert.
Besserer Konsumentenschutz unwahrscheinlich
Ob die anstehenden Gesetze zu einem verbesserten Versicherungsschutz des Konsumenten führen, ist aus aktueller Sicht unwahrscheinlich und realistisch gesehen wohl zu negieren. Im Gegenteil: Die Individualität des Versicherungsschutzes wird auf Dauer abnehmen, die Mehrkosten für den erhöhten Aufwand für Vergleich und Dokumentation langfristig durch höhere Prämien auf ihn überwälzt werden.
*gekürzte Fassung – den Artikel lesen Sie in voller Länge in der AssCompact Dezember-Ausgabe
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