Einer Versicherungsnehmer erlitt nach einem Autounfall eine Querschnittslähmung. Beim Rollstuhlfahren verwendet er einen Gurt über seine Knie, dennoch ist er bei zwei nachfolgenden Vorfällen aus dem Rollstuhl gefallen und verletzte sich. Er machte die ihm daraus entstandenen Schäden beim Haftpflichtversicherer des damaligen Unfallgegners geltend. (2 Ob 98/21g)
Artikel von:
Dr. Roland Weinrauch
Gründer der Kanzlei Weinrauch Rechtsanwälte|https://weinrauch-rechtsanwaelte.at/
Der Geschädigte erlitt bei einem Autounfall eine Querschnittlähmung und ist seither auf einen Rollstuhl angewiesen. Er verwendet dabei einen Gurt über seine Knie aber kein Personenrückhaltesystem, also ein Gurtsystem, mit dem die Hüfte und/oder der Oberkörper am Rollstuhl fixiert wird. Es besteht dazu auch keine medizinische Notwendigkeit.
Der Geschädigte stürzte bei zwei nachfolgenden Vorfällen trotz aufmerksamen Fahrverhaltens aus dem Rollstuhl und verletzte sich. Er machte die ihm daraus entstandenen Schäden beim Haftpflichtversicherer des damaligen Unfallgegners als adäquat kausale Folgeschäden geltend.
Der Haftpflichtversicherer wandte dagegen insb. ein, dass das Nichtverwenden eines Gurts im Rollstuhl (Personenrückhaltesystem) in Kombination mit einem Aufmerksamkeitsfehler des Geschädigten grob fahrlässiges Verhalten darstelle, welches die Adäquanz aufhebe.
Wie ist die Rechtslage?
Der OGH führte dazu in seiner Entscheidung vom 21.10.2021, 2 Ob 98/21g, zunächst aus, dass eine als Mitverschulden bezeichnete Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, die zur Selbstschädigung führt, dann vorliegt, wenn jene Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die nach dem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise von jedem Einsichtigen und Vernünftigen eingehalten worden wäre, um eine Schädigung zu verhindern. Dies setzt auch voraus, dass der Geschädigte die Gefahr erkannte bzw diese zumindest erkennbar war. Erkennbaren Gefahrenquellen muss nämlich jedenfalls ausgewichen werden.
§ 106 Abs 2 KFG verpflichtet zur Benutzung von Sicherheitsgurten in Kraftfahrzeugen. § 2 Abs 1 Z 19 StVO nimmt aber Rollstühle explizit vom Fahrzeugbegriff aus. In der Entscheidung 2 Ob 99/14v sprach der OGH erstmals aus, dass das Nichttragen eines Fahrradhelms bei "sportlich ambitionierten" Radfahrern im Falle einer kausalen Kopfverletzung als Obliegenheitsverletzung zu werten sei. In ähnlicher Weise wertete er trotz fehlender gesetzlicher Anordnung das Nichttragen von Schutzkleidung durch einen Motorradfahrer auf einer kurzen Überlandfahrt als Mitverschulden, weil sich unter Motorradfahrern eine entsprechende soziale Norm herausgebildet habe.
Dass sich unter Rollstuhlfahrern ein allgemeines Bewusstsein herausgebildet hätte, Rückhaltegurte bzw Beckengurte auch bei der händischen - allenfalls elektrisch unterstützten - Benutzung des Rollstuhls zu verwenden, steht aber nicht fest und ist auch nicht, sodass dem Geschädigten bereits aus diesem Grund kein Mitverschulden anzulasten ist.
Der OGH sprach dem Geschädigten daher den ungekürzten Schadensbetrag zu.
Schlussfolgerungen
Allein ein fehlender Rückhaltegurt bei Rollstuhlfahrern begründet ohne hinzutreten weiterer Umstände kein Mitverschulden für Schäden, die durch Stürze aus dem Rollstuhl entstehen.
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