Eine Klägerin hat einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen und wurde in der übermittelten Polizze erstmals über ihr 30-tägiges Rücktrittsrecht belehrt. Nach Ansicht der Klägerin war diese Belehrung über das Rücktrittsrecht nicht ausreichend und sie erklärte daher den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag. Die Rücktrittserklärung wurde vom Versicherer zurückgewiesen, woraufhin die Versicherungsnehmerin Klage einreichte.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 12.11.2021
Die nunmehrige Klägerin hat mit der beklagten Versicherung einen Lebensversicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn zum 01.11.2007 abgeschlossen. Weder in den vorvertraglichen Gesprächen noch im Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages wurde die Klägerin über ihr Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG informiert. Erst in der übermittelten Polizze wurde die Klägerin erstmals, und zwar unter der Überschrift „RÜCKTRITTSRECHTE“, über ihr 30-tägiges Rücktrittsrecht belehrt. Diese Polizze wurde von der Klägerin nicht mehr durchgelesen. Nach Ansicht der Klägerin war diese Belehrung über das Rücktrittsrecht nicht ausreichend, sondern erfolgte vielmehr verspätet, da die Belehrung bereits im Antrag enthalten sein hätte müssen. Im März 2018 erklärte die Versicherungsnehmerin daher den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag mit der Begründung, dass ihr durch diese „verspätete“ Belehrung die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach wie vor zur Verfügung gestanden haben soll. Die Rücktrittserklärung wurde von der beklagten Versicherung zurückgewiesen, woraufhin die Versicherungsnehmerin gegen die Versicherung eine Klage auf Rückzahlung der Prämien und Zinsen eingebracht hatte.
Wie ist die Rechtslage?
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes wurde die Klägerin von der beklagten Versicherung im vorliegenden Fall zwar verspätet, und zwar erst mit der Übermittlung der Polizze und damit erst bei Vertragsabschluss über ihr gesetzliches Rücktrittsrecht in Kenntnis gesetzt. Der OGH führte allerdings aus, dass durch diese „verspätete“ Belehrung die Rücktrittsfrist von 30 Tagen ab Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags nicht verändert wurde. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass der Versicherungsnehmerin vor Übersenden der Polizze die Überlegungsfrist verkürzt wurde. Nach den rechtlichen Vorgaben der Europäischen Union sei nur maßgeblich, dass Versicherungsnehmer eine eindeutige und detaillierte schriftliche Information über ihr Rücktrittsrecht erhalten. Es sei daher auch insbesondere nicht erforderlich, dass Versicherungsnehmer die Versicherungspolizze auch tatsächlich durchlesen.
Schlussfolgerung
Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch: „Die ordnungsgemäße Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht erstmals in der zugestellten Polizze – anstatt vor Abgabe seiner Vertragserklärung – stellt keine relevante Erschwernis des Rücktrittsrechts dar und rechtfertigt daher keinen unbefristeten „Spätrücktritt“. Im vorliegenden Fall erfolgte daher der im März 2018 erklärte Rücktritt verspätet, weshalb das auf Rückzahlung der Prämien und Zinsen gerichtete Klagebegehren abgewiesen wurde.“
Von Dr. Roland Weinrauch (Foto), Gründer der Kanzlei Weinrauch Rechtsanwälte: https://weinrauch-rechtsanwaelte.at/
Titelbild: ©Tiko – stock.adobe.com
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