Der OGH kippt erneut in einem Verbandsprozess zahlreiche praxisrelevante Klauseln in der Unfallversicherung. Hier eine Zusammenfassung der Entscheidungen zu den einzelnen Klauseln (OGH 7 Ob 148/21x, versdb 2022, 8).
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 07.02.2022
Taggeld: Leistungsfreiheit, wenn keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird
AUVB: „Übt die versicherte Person im Zeitpunkt des Unfalles keine Erwerbstätigkeit im Beruf oder der Beschäftigung aus, dann ist der Versicherungsschutz für Taggeld trotz Prämienzahlung nicht gegeben.“
OGH: Die Klausel verwehrt dem im Unfallzeitpunkt nicht (mehr) erwerbstätigen Versicherungsnehmer diesen Anspruch und erfasst dabei auch Fälle, in denen er die Versicherungsprämie jahre- oder jahrzehntelang bezahlt hat und nach dem Unfall auch weiterhin bezahlt. Das ist jedenfalls als gröblich benachteiligend zu qualifizieren.
Kinderlähmung und Zeckenbiss: Begriff „dauernde Invalidität“
AUVB: „Welche Leistungen sind bei Kinderlähmung und Erkrankung durch Zeckenbiss vereinbart? [...] Eine Leistung wird von uns nur für Tod oder dauernde Invalidität erbracht und bleibt mit der Höhe der vereinbarten Versicherungssummen begrenzt.“
OGH: Aus Art 7 ff AUVB folgt, dass der Begriff „dauernde Invalidität“ nicht bloß eine einzelne und selbständige Versicherungsleistung beschreibt, sondern maßgeblicher Anknüpfungspunkt für weitere, in den Art 8 ff AUVB beschriebene Versicherungsleistungen ist. Der Begriff „dauernde Invalidität“ wird daher einerseits als Leistungsbaustein (Art 7 AUVB) und andererseits als Anspruchsvoraussetzung für die vom Versicherer zu erbringenden Versicherungsleistungen (Art 8 ff AUVB) verwendet. So knüpft etwa nicht nur die Versicherungsleistung des Art 7 AUVB, sondern auch der Anspruch auf Unfallrente gemäß Art 8 AUVB oder auf Taggeld gemäß Art 11 AUVB an das Vorliegen dauernder Invalidität an, nicht hingegen das Spitalsgeld gemäß Art 12 AUVB. Aus der Klausel geht nun nicht mit der aus Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers erforderlichen Deutlichkeit hervor, ob mit „dauernde Invalidität“ eine Anspruchsvoraussetzung oder eine Beschränkung auf bestimmte Versicherungsleistungen gemeint ist. Sie ist daher schon aus diesem Grund intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG.
Dauerrabatt-/Laufzeitrabattnachforderung
Klausel: „Haben wir mit Rücksicht auf die vereinbarte Vertragszeit eine Ermäßigung der Prämie vereinbart, so können wir bei einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages die Nachzahlung des Betrages fordern, um den die Prämie höher bemessen worden wäre, wenn der Vertrag nur für den Zeitraum geschlossen worden wäre, während dessen er tatsächlich bestanden hat.“
OGH: Das Erstgericht beurteilte die Klausel als intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG. Für den Versicherungsnehmer sei völlig unklar, in welcher Höhe eine Rückzahlung zu leisten sei. Das Berufungsgericht schloss sich dieser Beurteilung an. Für den Versicherungsnehmer sei unklar, wann eine Prämiennachzahlung und in welcher Höhe diese fällig werde. Die Beklagte (Versicherer) setzt sich in ihrer Revision mit der Beurteilung der Vorinstanzen (Intransparenz) in keiner Weise auseinander und bringt keine Argumente gegen deren rechtliche Erwägungen vor, sodass die Revision in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
Sekundäre Obliegenheiten
AUVB: „Als Obliegenheiten, deren Verletzung unsere Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 3 VersVG bewirkt, werden bestimmt:
Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Krankenanstalt sowie diejenigen Ärzte oder Krankenanstalten, von denen die versicherte Person aus anderen Anlässen behandelt oder untersucht worden ist, sind zu ermächtigen und aufzufordern, die von uns verlangten Auskünfte zu erteilen und Berichte zu liefern. Ist der Unfall einem Sozialversicherer gemeldet, so ist auch dieser im vorstehenden Sinne zu ermächtigen.
Die mit dem Unfall befassten Behörden sind zu ermächtigen und zu veranlassen, die von uns verlangten Auskünfte zu erteilen.“
OGH: Hier wird bloß auf § 6 Abs 3 VersVG verweisen, ohne dem Versicherungsnehmer im Klauselwerk auch nur ansatzweise zu eröffnen, dass an anderer Stelle der AUVB die gesetzliche Bestimmung abgedruckt ist und warum er sich diese (zum Erkennen von Einschränkungen) durchlesen sollte. Die Klauseln sind somit intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG.
Schriftformvereinbarung in AVB
Klausel: „Alle Mitteilungen und Erklärungen sind nur in schriftlicher Form verbindlich.“
OGH: Die Vereinbarung der Schriftform bedarf sowohl im Fall der elektronischen Kommunikation (§ 5a Abs 2 VersVG) als auch im Übrigen (§ 15a Abs 2 VersVG) der ausdrücklichen Zustimmung des Versicherungsnehmers, die gesondert erklärt werden muss. Die Vereinbarung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist daher nicht zulässig. Außerdem sind nach dem Wortlaut der Klausel („alle Mitteilungen und Erklärungen“) auch Rücktrittserklärungen nach § 5c VersVG erfasst. Seit 1. 1. 2019 ist die Vereinbarung der Schriftform für Rücktrittserklärungen nach § 5c VersVG jedoch unzulässig. Die Klausel verstößt daher gegen zwingendes Recht und ist somit unzulässig.
Dazu fällte der OGH weitere Entscheidungen, die lediglich Entscheidungen des OGH aus der Vergangenheit bestätigen:
Herzinfarkt als Unfallfolge
AUVB: „Ein Herzinfarkt oder Schlaganfall gilt in keinem Fall als Unfallfolge.“
OGH: Der sehr weite Ausschluss, nämlich Herzinfarkt und Schlaganfall kategorisch, selbst bei ausschließlicher Ursächlichkeit des versicherten Unfallereignisses und ohne jegliche Mitwirkung eines degenerativen Geschehens undifferenziert nicht unter Versicherungsschutz zu stellen, erweist sich als gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB.
DI Geltendmachung innerhalb von 24 Monaten
OGH: Die 24-Monatsfrist für die DI Geltendmachung verstößt weder gegen § 864a ABGB noch gegen § 879 Abs 3 ABGB oder § 6 Abs 3 KSchG.
Renten- statt Kapitalleistung ab 75 Jahren
OGH: Eine Klausel, wonach statt der Kapitalleistung eine Rentenleistung erbracht wird, wenn die versicherte Person im Zeitpunkt des Unfalls das 75. Lebensjahr bereits vollendet hat, weicht von den Erwartungen des durchschnittlichen Unfallversicherungsnehmers schon insoweit erheblich ab, als üblicherweise die – vom Invaliditätsgrad abhängige – Auszahlung eines Kapitalbetrags erwartet wird, zumal die Versicherungssumme für dauernde Invalidität in der Versicherungspolizze auch regelmäßig als eine (einmalige) Kapitalleistung ausgewiesen ist. Der Versicherungsnehmer rechnet daher nicht damit, dass von einer in der Polizze konkret vereinbarten Kapitalleistung in den Allgemeinen Bedingungen – allein aufgrund des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze – abgegangen wird. Schon darin liegt der „Überrumpelungseffekt“ für den Versicherungsnehmer, sodass es auf den Regelungsort gar nicht ankommt. Die Nachteiligkeit der Klausel für den Versicherungsnehmer ist evident, erhält er doch nach jahre- oder jahrzehntelanger Prämienzahlung nun nicht die erwartete Kapitalleistung, sondern bloß eine Rente bis zum Eintritt des Todes, wodurch vom vereinbarten Leistungsumfang überraschend abgewichen wird.
Kündigung im Schadenfall
AUVB: „Nach Eintritt des Versicherungsfalles können wir kündigen, wenn wir den Anspruch auf die Versicherungsleistung dem Grunde nach anerkannt oder die Versicherungsleistung erbracht haben, […]
Die Kündigung ist innerhalb eines Monats
- nach Anerkennung dem Grunde nach;
- nach erbrachter Versicherungsleistung;
[…]
von uns vorzunehmen.“
OGH: Die Kündigung wird ohne objektivierbare Kriterien in das freie Ermessen des Versicherers gestellt und die Klausel räumt dem Versicherer die Möglichkeit ein, Prämien während eines beliebig langen Zeitraums zu lukrieren und beim ersten – noch so geringen – Versicherungsfall den Vertrag zu kündigen. Die Klausel ist daher gröblich benachteiligend gemäß § 879 Abs 3 ABGB.
Autor: Ewald Maitz, MLS (Foto) – www.knowhow-versicherung.at
versdb – Datenbank www.versdb.at
versdb – Zeitschrift: www.versdb.at/print
Titelbild: ©Daniel – stock.adobe.com
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