Im Normalfall zahlt ein Schuldner seine Schulden an seinen Gläubiger, um von seiner Schuld befreit zu sein. Kompliziert wird es, wenn der Gläubiger seine Forderungen an jemanden anderen abtritt. Ganz kompliziert wird es, wenn die Forderung des Gläubigers gemäß § 67 VersVG auf einen Versicherer übergeht, wie der OGH in 7 Ob 36/20z vom 19.02.2020 feststellt.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 27.07.2020
Von Dr. Wolfgang Reisinger (Foto)
Sachverhalt
Der klagende Rechtsschutzversicherer hat für seinen Versicherungsnehmer (VN) die Kosten der Privatbeteiligung in einem Strafverfahren gegen den Schädiger übernommen. Der Schädiger hat sich mit dem Geschädigten (=VN des klagenden Rechtsschutzversicherers) über die Kosten bereits verglichen. Er hatte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs keine Kenntnis vom Bestehen einer Rechtsschutzversicherung und somit auch nicht von allenfalls durch den Rechtsschutzversicherer schon getätigten Zahlungen. Gegen den Regress des Rechtsschutzversicherers gemäß § 67 VersVG wendet der Schädiger ein, dass er zu einer nochmaligen Zahlung nicht verpflichtet sei. Dieser Standpunkt wurde von allen Instanzen geteilt.
Entscheidungsgründe
Im Fall der rechtsgeschäftlichen Abtretung einer Forderung schützt § 1395 Satz 2 ABGB den auf die fortdauernde Gläubigerstellung des Zedenten vertrauenden Schuldner insoweit, als dieser bis zur Kenntnis vom Forderungsübergang auch noch an den „Altgläubiger“ schuldbefreiend leisten oder sich sonst mit ihm abfinden kann. Die Wirkungen des Forderungsübergangs nach § 67 VersVG sind jene der Zession nach allgemeinem Zivilrecht. Hat somit der Schädiger in Unkenntnis der Leistung des Versicherers an den geschädigten VN bezahlt, so schützt ihn die Gutglaubensbestimmung des § 1395 ABGB vor nochmaliger Inanspruchnahme durch den Versicherer. Die beklagte Partei konnte daher der klagenden Partei gegenüber die vergleichsweise Globalabfindung einwenden.
Kommentar
Der Schuldner ist primär verpflichtet, an den Gläubiger zu zahlen. Demgemäß kann er mit dem Gläubiger auch einen Vergleich über die Höhe der Schuld abschließen. § 67 VersVG knüpft nicht an das Schadenereignis, sondern an die Ersatzleistung durch den Versicherer an, dh solange der VN keine Leistung des Versicherers erhält, kann er über seine Forderung frei verfügen, sofern er das Regressrecht des Versicherers nicht schmälert. Der Kostenschuldner ist nicht geschützt, vom Rechtsschutzversicherer neuerlich in Anspruch genommen zu werden, wenn er von der Leistung des Versicherers an den VN bereits wusste. In einem solchen Fall wird der Schuldner bei einer gleichwohl erfolgten Leistung an den VN in der Regel nicht frei, sondern bleibt dem Rechtsschutzversicherer als Neugläubiger gegenüber verpflichtet. Dies gilt im umgekehrten Fall natürlich auch, wenn er – wie hier – nicht weiß, dass ein Rechtschutzversicherer Leistungen erbracht hat. In einem solchen Fall muss er dem Versicherer nicht noch einmal leisten, sondern hat schuldbefreiend an den VN bezahlt.
Selbstverständlich muss vermieden werden, dass der VN als Gläubiger zweimal Ersatz bekommt, nämlich einmal vom Schuldner und einmal vom Versicherer, weshalb es einen bereicherungsrechtlichen Rückersatzanspruch gegen den VN gibt. Dabei sind 2 Fälle zu unterscheiden:
- Der Schuldner weiß nichts von der Zahlung des Versicherers an den VN: der Schuldner muss nicht noch einmal an den Versicherer zahlen, der Versicherer kann sich beim VN regressieren.
- Der Schuldner weiß von der Zahlung des Versicherers an den VN: der Schuldner muss noch einmal an den Versicherer zahlen, der Schuldner kann sich beim VN regressieren.
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Titelbild: ©snowing12 - stock.adobe.com
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