Wenn sich ein bereits in Verkehr gebrachtes Produkt nachträglich als fehlerhaft herausstellt, dann wird es häufig zurückgerufen. Ein solche Rückruf verursacht hohe Kosten und führt somit zur Frage nach der Versicherungsdeckung. Grundlegend sind dabei die folgenden Überlegungen:
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 15.11.2021
1. Rückrufkostenversicherung:
Besteht eine Rückrufkostenversicherung? Solche Versicherungen sollen gerade jene Kosten decken, die im Zuge eines Rückrufes anfallen. Aber Vorsicht, auch eine Rückrufkostenversicherung hat durchaus ihre Tücken:
So besteht Versicherungsschutz häufig nur für eine bestimmte Zeit ab Auslieferung des Produkts, wohingegen sich dessen Fehlerhaftigkeit erst viel später zeigen kann.
Außerdem liegt ein Versicherungsfall oft nur dann vor, wenn dem Rückruf eine gesetzliche Verpflichtung zugrunde liegt. Nun ist aber gerade die Frage, wann eine solche gesetzliche Verpflichtung zum Rückruf tatsächlich besteht, eine der umstrittensten Fragen des Produkthaftungsrechts. Aus Sicht des Versicherungsnehmers besteht die Gefahr, dass sich ein Versicherer auf den folgenden Standpunkt stellt: „Ein Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Denn eine gesetzliche Pflicht zum Rückruf hat gar nicht bestanden. Schließlich wäre eine Warnung der betroffenen Produktabnehmer ausreichend gewesen, um den gesetzlichen Pflichten nachzukommen.“
Besonders unangenehm wird dieser Einwand sein, wenn es sich beim Versicherungsnehmer nicht um die Endherstellerin, sondern um den von der Endherstellerin in Anspruch genommenen Zulieferer eines fehlerhaften Bauteiles handelt. Dieser Zulieferer findet sich dann in einem klassischen Dilemma wieder: Von seinem Versicherer muss er sich anhören, die Endherstellerin sei nicht zum Rückruf verpflichtet gewesen und ein Versicherungsfall deshalb gar nicht eingetreten. Gleichzeitig tritt die Endherstellerin an ihn heran, um Regress zu nehmen, und behauptet, sie habe zur Vermeidung eigener Schadenersatzpflichten keine andere Wahl gehabt, als das Produkt zurückzurufen.
2. Haftpflichtversicherung – Rettungskostenersatz:
Eine Versicherungsdeckung im Rahmen der gewöhnlichen Betriebshaftpflichtversicherung wird ausscheiden. Denn der Versicherungsfall dort setzt einen Sach- oder Personenschaden voraus, Rückrufkosten sind ein reiner Vermögensschaden. Und wenn es sich beim Versicherungsnehmer um die Endherstellerin handelt, dann ist dieser Vermögensschaden nicht bei einem Dritten eingetreten, wie vom Versicherungsfall gemäß den AHVB vorausgesetzt, sondern beim Versicherungsnehmer selbst (Eigenschaden).
Nun hat aber der Rückruf des fehlerhaften Produkts womöglich einen Sach- oder Personenschaden verhindert. Die Vermeidung solcher Schäden, die von der Haftpflichtversicherung gedeckt gewesen wären, war ja in der Regel erst der Grund für den Rückruf.
An diese Erkenntnis müssen zwei brisante Fragen anknüpfen: Kann in einem Rückruf eine Maßnahme der Abwendung des Schadens (im Sinne von § 62 VersVG) liegen? Und sind die damit verbundenen Aufwendungen (Rückrufkosten) vom Haftpflichtversicherer zu ersetzen (Rettungskostenersatz gemäß § 63 VersVG)?
Rechtliche Details dazu sind noch ungeklärt. Ob Rettungskostenersatz zusteht, hängt nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung u.a. davon ab, ob bereits jenes Ereignis eingetreten ist, das in der Regel wahrscheinlich den Schaden herbeiführen wird. Mit anderen Worten muss der Versicherungsfall unmittelbar bevorstehen. Wann ist das der Fall?
Laut OGH zum Beispiel dann, wenn Rinder die umzäunte Weide verlassen haben und sich eine stark befahrene Straße und eine Eisenbahnanlage in unmittelbarer Nähe befinden. Die Kosten des Wiedereinfangens der Rinder sind deshalb vom Haftpflichtversicherer zu ersetzende Rettungskosten.
Ein anderes Beispiel aus der Rechtsprechung: Wenn aufgrund eines Motorschadens eine Lieferfristüberschreitung droht, für die der Versicherungsnehmer einzustehen gehabt hätte.
Wenn hingegen der Versicherungsfall noch nicht unmittelbar bevorsteht, dann handelt es sich nicht um eine Schadensabwendung (§ 62 VersVG). Vielmehr fällt das unter allgemeine Schadensverhütung. Wer etwa sein Türschloss tauschen lässt, weil er den Wohnungsschlüssel verloren hat, der vermeidet dadurch zwar im weitesten Sinne einen Sachschaden, dieser stand jedoch nicht unmittelbar bevor. Dasselbe gilt, wenn ein Hausdach routinemäßig abgedichtet oder das eigene Kraftfahrzeug gewartet wird. Die anfallenden Kosten sind keine Rettungskosten und deshalb vom Versicherungsnehmer selbst zu tragen.
Beim Produktrückruf ist deshalb entscheidend, wie überzeugend der Versicherungsnehmer darlegen kann, dass ein Personen- oder Sachschaden unmittelbar bevorstand. Lag dem Rückruf nur ein besonderes Maß an Umsicht und Vorsicht zugrunde? Oder war ohne Rückruf der Eintritt eines Personen- oder Sachschadens hinreichend wahrscheinlich?
3. Erweiterte Produktehaftpflicht
Hat der Versicherungsnehmer mit seinem Versicherer die erweiterte Deckung der Produktehaftpflicht (gemäß EHVB, Abschnitt A., Z 2, Pkt 4) vereinbart?
Dann ist es möglich, dass die Rückrufkosten zumindest teilweise unter die erweiterte Produktehaftpflicht fallen. Denn diese erfasst ausgewählte reine Vermögensschäden, etwa Ausbau- und Einbaukosten.
Eine Deckung wird hier vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Versicherungsnehmer ein Zulieferer ist, bei dem die Endherstellerin erfolgreich Regress genommen hat. Denn dann liegt jene in der erweiterten Produktehaftpflicht angesprochene Konstellation vor, dass der Versicherungsnehmer für einen reinen Vermögensschaden einzustehen hat, der einem Dritten (der Endherstellerin) entstanden ist.
Von Dr. Wendelin Moritz (Foto oben), Rechtsanwalt in Wien und Experte für die Bereiche Produktrückruf, Produkthaftung und Haftpflichtrecht im Allgemeinen. Kontakt: 01 533 51 01; moritz@schneiderschneider.at
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Titelbild: ©MQ-Illustrations – stock.adobe.com
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