Wann ist der Versicherungsfall eingetreten? Diese schwierige Frage sorgt immer häufiger für Konflikte in der Rechtsschutzversicherung. Was dabei die größten Probleme sind, erklärt Dr. Helmut Tenschert in der aktuellen AssCompact-Ausgabe.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 27.05.2019
Von Dr. Helmut Tenschert, Versicherungsmakler und Rechtsschutzexperte*
Bekanntlich definiert sich der Versicherungsfall, dessen Eintritt den Versicherungsschutz überhaupt erst auslöst, in den meisten Bausteinen der Sparte nach der sogenannten Verstoß-Theorie, so auch im Allgemeinen Vertragsrechtsschutz. Diese besagt in Art 2.3 der ARB des VVO sinngemäß, dass der Versicherungsfall zeitlich gesehen dann eintritt, wenn der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter erstmalig begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Weiter ist formuliert, dass bei mehreren Verstößen der erste adäquat verursachte Verstoß für die Festlegung des Versicherungsfalles maßgeblich erscheint. Also kurz gesagt muss der Versicherungsfall nach dieser Definition in die Laufzeit des Versicherungsvertrages fallen bzw. müssen zusätzlich allfällig bestehende Wartefristen erfüllt sein, um die Deckung zu gewährleisten. Verschärft wird das durch ergänzende Deckungseinschränkungen, nach denen nicht nur der Versicherungsfall innerhalb der Vertragslaufzeit eintreten muss, sondern noch andere Deckungsvoraussetzungen zu beachten sind.
Hochkomplexe Materie
Ist alles nicht einfach, hat aber wesentliche Auswirkungen. Es ist kein Zufall, dass sich Walter Harbauer, der deutsche „Rechtsschutzpapst“, oder bei uns Dr. Thomas Hartmann in ihren Fachbüchern auf hunderten Seiten mit dieser hochkomplexen Materie auseinandersetzen. Die Auslegung der Verstoß-Theorie ist auch permanent Gegenstand von Anträgen an die Schlichtungsstelle der Versicherungsmakler und oftmals Anlass für etliche einschlägige OGH-Entscheidungen zu diesem Thema.
Nicht zumutbar
Für wirklich problematisch halte ich jedoch den Umstand, der es in Streitfällen dem Gegner des Versicherungsnehmers ermöglicht, wesentlich Einfluss auf Bestehen oder Nichtbestehen des Versicherungsschutzes nehmen zu können. Da der Versicherungsfall nicht nur durch den Versicherungsnehmer, sondern auch durch den Gegner (oder einen Dritten) ausgelöst werden kann, besteht die Gefahr, dass bei Streitfällen über Verträge, die vor Beginn des Rechtsschutzversicherungsvertrages geschlossen worden sind, aber innerhalb der Vertragslaufzeit strittig werden, die Deckung verloren gehen kann.
Da kann es genügen, dass der Gegner eine Behauptung aufstellt, es wäre vor Beginn des Rechtsschutzvertrages eine Vertragsverletzung in der anhängigen Streitsache geschehen, die dann der Versicherer als Versicherungsfall qualifiziert, und schon kann der Versicherungsschutz weg sein. Es wird ja nicht geprüft, inwieweit diese Behauptung den Tatsachen entspricht, es reicht schon die objektive Feststellbarkeit dieses Verstoßes. Dass sich diese Möglichkeit für einen darüber Bescheid wissenden Anwalt leicht prozesstaktisch entsprechend verwenden lässt, liegt auf der Hand. Und das halte ich wirklich für schwer erträglich.
Ich habe volles Verständnis dafür, dass nicht allein die Angaben des Versicherungsnehmers für die Bemessung des Versicherungsfalles herangezogen werden können, das wäre dann ebenso beliebig und oftmals leicht so zu bewerkstelligen, dass jedenfalls Deckung besteht. Aber den Versicherungsschutz weitgehend in die Hände des Gegners des Kunden zu legen, halte ich für nicht zumutbar.
Hirnschmalz und ehrliches Bemühen
Sicherheit betreffend eine Deckung für vertragliche Auseinandersetzungen kann wohl nur dann angenommen werden, als der strittige Vertrag erst nach Abschluss des Rechtsschutzvertrages und Erfüllung der Wartefrist geschlossen wird, damit auch allfällige Meinungsverschiedenheiten zu Verletzung von Pflichten im Zuge des Vertragsabschlusses in den gedeckten Zeitraum fallen. Auch bei strafrechtlichen Verfolgungen kann, es gilt ja auch hier das Verstoß-Prinzip, die absurde Situation eintreten, dass etwa ein Geschäftsführer für Handlungen oder Unterlassungen in Haftung genommen wird, die sich aber vor seiner Tätigkeit als Geschäftsführer ereignet haben, für die er sich aber zu verantworten hat. Auch in diesem Fall wird dann aufgrund der Verstoß-Theorie der Versicherungsschutz weg sein.
Dass willkürliches gegnerisches Verhalten in Richtung Beseitigung des Versicherungsschutzes deckungsschädlich wirken kann, sollte jedenfalls bald der Vergangenheit angehören. Hirnschmalz und ehrliches Bemühen müssten ausreichend sein, um eine Regelung zu erreichen, die Kunden Sicherheit verschafft und Anbieter nicht überfordert.
*gekürzte Fassung; der vollständige Artikel erscheint in der AssCompact Juni-Ausgabe.
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