Durch die staatliche Pension allein lässt sich der Lebensstandard im Alter kaum mehr halten. Warum sich dennoch zu wenige Menschen für eine zusätzliche Rentenversicherung entscheiden, erklärt eine aktuelle Studie aus Deutschland. Langfristige Vorsorge müsste demnach viel stärker als Absicherung des Lebensstandards denn als Investment präsentiert werden.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 08.08.2018
„Bedarfsgerecht, aber unbeliebt“ – unter diesem Titel hat sich Jochen Ruß vom Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) gemeinsam mit Stefan Schelling von der Uni Ulm mit Nutzen und Akzeptanz der lebenslangen Rente befasst. Die Studie ist zwar auf Deutschland bezogen, zeichnet aber ein durchaus der österreichischen Situation ähnliches Bild: Die Lebenserwartung steigt und die Geburtenrate ist relativ niedrig. Umlagefinanzierte Systeme wie die staatliche Pension sind von dieser Veränderung naturgemäß besonders stark betroffen.
Rationale Gründe erklären nicht alles
Wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass es für die meisten Menschen besser wäre, deutlich mehr Geld zu verrenten, als das in der Realität beobachtet wird. Insbesondere Menschen mit mittlerem Wohlstand verrenten laut Studie einen deutlich geringeren Teil ihres angesparten Geldes als optimal. Diese Diskrepanz wird mit dem „Annuity Puzzle“ (Rentenrätsel) beschrieben. Zu den „rationalen“ Gründen, warum manche Menschen wenig oder gar kein Geld verrenten, gehört das Vererbungsmotiv – also der Wunsch, Geld an die eigenen Hinterbliebenen zu vererben. Es kann auch sein, dass bereits Einkommen in ausreichender Höhe vorhanden ist oder die Kosten und Sicherheitszuschläge der am Markt verfügbaren Rentenversicherungsprodukte zu hoch erscheinen.
Allerdings können diese rationalen Gründe die geringe Akzeptanz der Verrentung bei weitem nicht vollständig erklären. Daher sollten auch psychologische bzw. verhaltensökonomische Aspekte betrachtet werden. So gibt es typische menschliche Verhaltensmuster, die vom rationalen Verhalten abweichen und die bei nahezu allen Menschen systematisch auftreten. Diese oft vereinfachenden Faustregeln machen das Leben einfacher, können jedoch in manchen Situationen zu Fehleinschätzungen führen.
Verhaltensmuster verstehen
Besonders anfällig sind Menschen für Fehleinschätzungen bei Entscheidungen, die man nur einmal im Leben treffen muss (keine Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen und eine „Routine“ zu entwickeln), sowie bei komplexen Sachverhalten (Faustregeln aus anderen Bereichen lassen sich nicht sinnvoll übertragen). Beides trifft auf die Frage der Verrentung zu.
Ein Verständnis typischer Verhaltensmuster ist Voraussetzungen, um Menschen zu helfen, diese Fehler zu vermeiden.
Verhaltensmuster | Erklärung | Konsequenz |
Gegenwartspräferenz | Etwas „jetzt sofort“ zu besitzen scheint für mein „aktuelles Ich“ viel wichtiger als an mein „zukünftiges Ich“ zu denken. | Lieber jetzt sofort Geld auf dem Konto als ein lebenslanges Einkommen. |
Ankereffekt | Eine Zahl im Hinterkopf beeinflusst meine Einschätzung. | Wer im Hinterkopf hat, wie alt Menschen der Generation der eigenen Eltern und Großeltern wurden, unterschätzt die eigene Lebenserwartung massiv. |
Mentale Buchführung | Rentenversicherung liegt bei den meisten Menschen nicht in der mentalen Kategorie oder Schublade „Versicherung“, sondern „Investment“. |
Die Rentenversicherung wird nach den falschen Kriterien bewertet. Wichtigstes Kriterium sollte sein: Welches Risiko kann ich damit absichern? Primär betrachtet wird aber die Frage: Welche Rendite ist möglich? |
Ein zentrales Verhaltensmuster ist für die Studienautoren das „Framing“. Gemeint ist damit, dass unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen. So wird die Rentenversicherung oftmals als Investment dargestellt, dessen Rendite umso höher ist, je älter man wird. Die Akzeptanz wäre deutlich höher, wenn die Rentenversicherung als Absicherung des Lebensstandards erläutert wird.
Produktgestaltung, Aufklärung, Anreize
In praktischer Hinsicht gibt die Studie drei Ansätze mit, um die Akzeptanz der Verrentung zu erhöhen:
1. Innovative Produktgestaltung
Das Ergebnis sei rational betrachtet manchmal keine bessere Lösung, aber für Menschen, die eine „normale“ Rentenversicherung ablehnen, ein akzeptabler Kompromiss. Als Beispiele nennen die Wissenschaftler etwa die Todesfall-Leistung in der Rentenphase, eine höhere Rente für Menschen mit unterdurchschnittlicher Lebenserwartung, mehr Flexibilität nach Rentenbeginn oder die Beimischung von Fonds in der Rentenphase.
2. Menschen dabei unterstützen, typische Fehleinschätzungen (aktiv oder unbewusst) zu überwinden
Dies gelingt laut Studie durch aktive Aufklärung über realistische Lebenserwartungen und über die Chance, die Lebenserwartung deutlich zu überleben. Die Rentenversicherung sollte als Absicherung von Konsum und nicht als Investment präsentiert werden. Der Fokus sollte auf die Unsicherheit des Todeszeitpunkts gelegt werden anstatt auf die Lebenserwartung, die Planungssicherheit suggeriert.
3. Ökonomische Anreize (z.B. Steuervorteile) oder nicht ökonomische Anreize (Opting Out) setzen
Die Autoren kommen zum Schluss, dass in Bezug auf Produktgestaltung und dem Setzen von Anreizen bereits viele Maßnahmen umgesetzt wurden. Hinsichtlich Produktpräsentation und Aufklärung bestehe hingegen noch erhebliches Potenzial.
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