Dass die Briten am 23. Juni für den Verbleib in der EU stimmen werden, ist aktuellen Meinungsumfragen zufolge das wahrscheinliche Szenario. „Dennoch gehen die Märkte alles andere als gelassen mit dem Thema um, was vor allem dem Pfund Sterling zu schaffen macht“, so Adam Lessing, Head of Austria & CEE bei Fidelity International.
Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 20.05.2016
„Schon die Debatte um den Brexit hat erhebliche Turbulenzen an den Märkten ausgelöst“, stellt Lessing in seinem aktuellen Marktkommentar fest. Der Pfund befinde sich auf Talfahrt, die Renditen britischer Staatsanleihen (Gilts) seien ebenso wie auf Pfund lautende Unternehmensanleihen gesunken. Im Fall eines EU-Verbleibs würden Anleger aus britischen Staatsanleihen in risikoreichere Anlagen umschichten, was dem britischen Pfund zu einem Wiederanstieg verhelfen würde. Ein Brexit wiederum dürfte dem Markt für britische Staatsanleihen Auftrieb geben.
EU-Austritt könnte ein Prozent an BIP-Wachstum kosten
Ungewiss sei vor allem der Ausblick für den Konsum. „Ein sinkendes Verbrauchervertrauen wird die Konsumlaune vermutlich dämpfen“, so Lessing. Als sicher gilt, dass ein Brexit rückläufige Unternehmensinvestitionen zur Folge hätte. „Ein Blick auf die historischen Beiträge zum BIP lässt vermuten, dass dies im schlimmsten Fall ein Prozent Wachstum kosten könnte.“
Anleihen: britische Banken unter Druck
Bei Unternehmensanleihen bekommen die britischer Banken den Brexit-Druck schon seit längerem zu spüren. „Banken dürften nach unserer Einschätzung bei einer Mehrheit für den Brexit ganz vorne in der Schusslinie stehen.“ Man gehe aber davon aus, dass sie durch ihre Fundamentaldaten gut gerüstet sind, um eine ein- bis zweijährige Rezession zu überstehen. Risiken sieht Lessing auch bei Anleihen, die mit Gewerbeimmobilien unterlegt sind, insbesondere im Hinblick auf den Londoner Büroimmobilienmarkt.
Möglicher Brexit belastet zyklische Aktien und Pfund
„Am Aktienmarkt belastet der mögliche Brexit die Kurse in den konjunkturempfindlicheren Branchen wie Banken, Baugewerbe und Konsum“, so Lessing. „Das schafft auf der anderen Seite interessante Anlagechancen bei zyklischen Aktien. Ihre Kurse dürften hochschnellen, wenn sich die Mehrheit für die EU-Mitgliedschaft ausspricht.“
Die Hauptlast der Schwankungen hätten wohl die Devisenmärkte zu tragen. „Schon jetzt wird das Pfund Sterling zum Dollar so tief gehandelt wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Kommt es zum Brexit, halten wir einen massiven Einbruch zum Dollar auf unter 1,40, dem tiefsten Stand seit über 30 Jahren, für möglich.“
Anleger sollten laut Lessing aber auch bedenken, dass nicht im FTSE All Share Index börsennotierte Firmen 67% ihrer Umsatzerlöse in anderen Währungen als dem Pfund erwirtschaften. Diese würden bei einer spürbaren Abwertung der Landeswährung nach der Umrechnung in Pfund höher ausfallen und könnten damit Gewinnkorrekturen der betreffenden Firmen nach sich ziehen. Andererseits würden Nebenwerteindizes, in denen Unternehmen mit hohem Gewinnanteil in Pfund stärker vertreten sind, anders als in den letzten sechs Jahren vermutlich hinter dem Markt zurückbleiben.
Was kommt nach dem Referendum?
Auf viele in Großbritannien gelistete Unternehmen wird sich ein Brexit kaum auswirken. Einige werden hingegen unter den Folgen leiden. Auch wenn ein Votum für den EU-Verbleib wahrscheinlicher ist, wird ein Brexit zumindest zum Teil bereits in den Kursen berücksichtigt. „Aus den Erfahrungen der Vergangenheit wissen wir, dass Anleger solange an ihren Barmitteln festhalten, bis die Ungewissheit vorüber ist. Ein Ergebnis zugunsten der EU-Mitgliedschaft könnte daher erhebliches Anlegerkapital zurück in auf Pfund lautende Risikoanlagen fließen lassen. In diesem Fall dürften binnenorientierte Zykliker besser abschneiden als defensive Qualitätsaktien und den Trend der vergangenen Monate umkehren.“
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