Aktuell wird Inflation durch höhere Energiepreise und Angebotsengpässe getrieben. Aus der globalen Perspektive betrachtet ist es laut Axel D. Angermann ,Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, jedoch nicht der Euroraum, von dem in erster Linie eine erhöhte Inflationsgefahr ausgeht. Im Fokus stehen hier die USA, wo die Kerninflation inzwischen bei mehr als 3% angekommen ist.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 6/18/2021
Um zu verstehen, wie gefährlich die Inflationsentwicklung ist und ob die Notenbanken mit einer Straffung ihrer Geldpolitik reagieren müssten, ist es wichtig, zwischen kurz- und längerfristigen Inflationsfaktoren zu unterscheiden. Aktuell steigen die Preise vor allem aus zwei Gründen: Zum einen sind die Energiekosten etwa doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Dies ist allerdings in erster Linie eine Normalisierung im Zuge eines kräftigen konjunkturellen Aufschwungs – tatsächlich ist der Ölpreis mit rund 70 Dollar pro Fass nur moderat höher als unmittelbar vor Ausbruch der Pandemie. Der zweite Grund sind stark steigende Preise für zahlreiche Vorprodukte, die ihrerseits auf einer pandemiebedingten Störung von Lieferketten beruhen. Diese Angebotsengpässe dürften in den kommenden Monaten allmählich überwunden werden, sodass der von dieser Seite stammende Preisdruck nachlässt. Genau darauf heben auch die Kommentare der Zentralbanken ab, die den temporären Charakter der Preissteigerungen betonen.
Alle Blicke richten sich auf den US-Arbeitsmarkt
Dennoch könnte allerdings die Hoffnung auf eine dauerhafte Normalisierung der Inflationsraten auf moderatem Niveau trügen, denn langfristig kommt es hier vor allem auf die Lohnentwicklung an. In den USA mehren sich inzwischen die Hinweise, dass man die Gefahr einer Verfestigung der Inflation durch höhere Lohnsteigerungen ernst nehmen sollte: Die deutlich sinkende Arbeitslosenquote hat bereits jetzt Angebotsengpässe in Teilbereichen des amerikanischen Arbeitsmarkts zur Folge. Begünstigt wird dies auch dadurch, dass für viele Arbeitnehmer infolge der fiskalischen Hilfen der Anreiz sinkt, einen Job anzunehmen. Die Absicht der Biden-Regierung, die Mindestlöhne deutlich anzuheben, ist zwar fürs Erste gescheitert, hat aber offenbar dazu geführt, dass bestimmte Berufsgruppen inzwischen offensiv höhere Löhne verlangen und wegen der jetzt schon bestehenden Knappheiten auch bessere Chancen als in der Vergangenheit haben, diese Forderung durchzusetzen. Es würde also nicht überraschen, wenn die Lohnentwicklung in den kommenden Monaten zunehmend nach oben zeigt. Die Hoffnung der Fed, dass die Inflation wieder sinkt, würde sich dann nicht erfüllen. Die im Raum stehende Frage nach der geldpolitischen Reaktion gewönne damit weiter an Brisanz.
Starke Lohnsteigerung in Europa eher unwahrscheinlich
Anders stellt sich die Lage in Europa dar: Echte Engpässe an den Arbeitsmärkten, die zu deutlich höheren Lohnabschlüssen in der Breite führen, sind weniger wahrscheinlich als in den USA. Vor allem strukturelle Hemmnisse verhindern in Europa ein sehr schnelles Absinken der Arbeitslosenquote. Das hohe Ausmaß an versteckter Arbeitslosigkeit, etwa in Form von Kurzarbeit und signifikante Zweitrundeneffekte nach den langen Lockdown-Maßnahmen wirken in die gleiche Richtung. Und schließlich ist der Puffer bis zur von der EZB angestrebten Grenze von nahe, aber unter 2% noch beträchtlich.
Inflation wird in den kommenden Monaten eines der bestimmenden Themen bleiben. Der Fokus der Analyse sollte dabei auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt und den dort zu beobachtenden Lohnentwicklungen liegen. Es erscheint gut möglich, dass sich hieraus Inflationsgefahren ergeben, die die Notenbanken derzeit noch gar nicht in den Blick nehmen wollen.
Über den Autor
Axel D. Angermann analysiert als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen aller für die Asset Allocation wesentlichen Märkte. Diese Daten bilden die Grundlage für die strategische Ausrichtung der Vermögensanlagen der FERI.
Bild: ©studio v-zwoelf – stock.adobe.com
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