Ein Mädchen erlitt Verbrennungen, nachdem im Flugzeug ein Kaffeebecher umgekippt war. Ob es sich dabei um einen Unfall handelte, für den die Fluggesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalterin haftet, hatte der Oberste Gerichtshof (OHG) zu klären.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 27.02.2020
Die minderjährige Klägerin flog im August 2014 gemeinsam mit ihrer Familie in einem Flugzeug der zunächst beklagten, nunmehr insolventen Fluglinie von Mallorca nach Wien. Etwa eine Stunde nach dem Start servierte die Flugbegleiterin Getränke. Der Vater, der neben der Klägerin saß, nahm einen Becher Orangensaft und einen Pappbecher mit frisch gebrühtem, heißem Kaffee entgegen, den er am Abstellbrett platzierte. Als er noch Milch verlangte, bemerkte die Flugbegleiterin, dass der Becher mit Kaffee zu rutschen begann. Sie machte den Vater darauf aufmerksam, dieser konnte jedoch nicht verhindern, dass der Becher kippte und sich über seinen rechten Oberschenkel und die Brust der Klägerin ergoss. Die Klägerin erlitt dadurch Verbrennungen zweiten Grades am Brustkorb vorne und links der Mitte. Es konnte weder festgestellt werden, dass das Abstellbrett defekt gewesen und von vornherein schief gestanden wäre, noch dass der Kaffeebecher durch ein Vibrieren des Flugzeugs ins Rutschen gekommen wäre.
Montrealer Übereinkommen
Die Klägerin machte gegenüber der Insolvenzverwalterin der zunächst beklagten Fluggesellschaft Schmerzensgeld und Verunstaltungsentschädigung von insgesamt 8.500 Euro bei Exekution in den Deckungsanspruch gegenüber dem Luftfahrthaftpflichtversicherer der Fluggesellschaft sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige Unfallfolgen geltend. Die Beklagte hafte nach Art 17 Abs 1 Montrealer Übereinkommen (MÜ). Danach habe der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstehe, dass ein Reisender während des Flugs getötet oder am Körper verletzt werde.
Die Beklagte wendete ein, die Haftung scheitere am Vorliegen eines Unfalls, da kein plötzliches und unerwartetes Ereignis zum Rutschen des Kaffeebechers und zum Ausfließen des Kaffees geführt habe. Sollte doch ein Unfall vorliegen, sei er nicht durch die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter verursacht worden.
Keine Definition von „Unfall“
Das Erstgericht erkannte per Teilzwischenurteil das Zahlungsbegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Das Berufungsgericht wies die Klage zur Gänze ab. Der OGH hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Denn weder das Montrealer Übereinkommen noch das ältere Warschauer Abkommen (WA) enthalten eine Definition des Begriffs „Unfall“. Nach der zum WA entwickelten Rechtsprechung handelt es sich bei einem Unfall um ein auf äußerer Einwirkung beruhendes plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmtes Ereignis, durch das der Reisende getötet oder verletzt wird.
Strittig war allerdings, ob der Begriff des Unfalls und damit die Haftung auf Fälle einzuschränken ist, in denen sich ein für die Luftfahrt typisches Risiko verwirklichte.
Von den das Erfordernis eines luftfahrtspezifischen Risikos ablehnenden Teilen der Lehre war demzufolge das Verschütten von heißen Getränken oder Speisen auf den Körper eines Reisenden als Unfall anerkannt, für dessen Folgen der Beförderer ohne weiteres haftet.
Unfall für Schaden ursächlich
Daher hat der Senat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es sich bei Verbrühungen durch den umgefallenen Becher um eine Haftung des Luftfrachtführers handle. Dem EuGH zufolge sei das Montrealer Übereinkommen dahin auszulegen, dass der Begriff „Unfall“ jeden an Bord eines Luftfahrzeugs vorfallenden Sachverhalt erfasst, in dem ein bei der Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisenden verursacht hat, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgeht.
Im vorliegenden Fall sei daher der Klägerin der Nachweis gelungen, dass ein Unfall im Sinne des Art 17 MÜ für den von ihr erlittenen Schaden ursächlich war. Die von einem Verschulden unabhängige Haftung der Beklagten sei demnach zu bejahen.
Dennoch könne das Zwischenurteil des Erstgerichts nicht wiederhergestellt werden, da nicht alle dem Grund des Anspruchs entgegenstehenden Einwendungen erledigt seien. Die über das Zahlungsbegehren absprechenden Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben, das Verfahren wurde an das Erstgericht zurückverweisen.
Zum Volltext im RIS (2Ob6/20a)
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