Viele Unternehmen passen seit Jahren ihr Angebot an die Präferenzen jedes einzelnen Kunden an. Online-Shops zeigen Produkte an, an denen der Kunde laut seinem bisherigen Einkaufsverhalten am ehesten interessiert sein könnte. Soziale Medien spielen jene Inhalte ein, die den Nutzer zum längeren Verbleib auf der Plattform bringen. Auch für die Versicherungsbranche ist dieses Konzept sehr interessant und wird vermehrt von Versicherern vorangetrieben. Die Idee: die Prämie wird individuell an das Risikoprofil der einzelnen Versicherungsnehmer angepasst.
Artikel von:
Mag. Georg Wimmer
Versicherungsrechtsexperte bei KPMG Law – Buchberger Ettmayer Rechtsanwälte GmbH
Wer sich gesund ernährt und Sport macht, soll weniger Prämie für eine Lebensversicherung bezahlen als ein Kunde mit ungesundem Lebensstil. Ein Autofahrer mit vorsichtigem Fahrstil soll in den Genuss einer günstigeren Prämie kommen, ein Straßen-Rowdy allerdings – seinem erhöhten Unfallrisiko entsprechend – draufzahlen.
Bei der Gestaltung von personalisierten Versicherungsprodukten gilt es aus rechtlicher Sicht einige Punkte besonders zu beachten:
Die Vertragsbedingungen (AVB) müssen genau umschreiben, welche Kriterien sich wie auf die Höhe der Prämie auswirken. Allgemeine Kriterien wie „zu ungesunde Ernährung“ sind für den Kunden intransparent, denn der Kunde weiß nicht was „zu ungesund“ ist und um wie viel er dann mehr zahlen muss. Solche ungenauen Klauseln können gegenüber Verbrauchern nicht wirksam vereinbart werden.
Damit die Prämie automatisch an den Lebensstil oder die Risikoneigung angepasst werden kann, muss der Kunde ein Messgerät mitführen, z.B. eine Fitness-Uhr am Körper oder eine „Black-Box“ im Auto. Der Kunde sollte vertraglich verpflichtet werden, dass Messgerät stets mitzuführen und eingeschaltet zu lassen. Für den Fall des Verstoßes gegen diese „Tracking-Obliegenheit“ könnte vereinbart werden, dass für den Verstoß-Zeitraum statt der variablen Prämie eine Fixprämie verrechnet wird. Eine solche Tracking-Obliegenheit ist bei Kfz-Haftpflichtversicherungen nicht möglich, weil das Gesetz (§ 5 KHVG) nur die Vereinbarung einiger weniger Arten von Obliegenheiten vor Eintritt des Schadens zulässt. Bei Kfz-Kasko-Versicherungen besteht dieses Verbot nicht und das Mitführen der „Black-Box“ kann als Obliegenheit vereinbart werden.
Bei personalisierten Versicherungsprodukten werden laufend Daten über den Versicherungsnehmer erhoben. Diese Datenverarbeitung ist im Rahmen der Vertragserfüllung grundsätzlich zulässig. Wenn es sich jedoch um besonders sensible Gesundheitsdaten handelt, die z.B. über eine Fitness-Uhr erhoben werden, bedarf es einer Zustimmung des Kunden zur Nutzung und Speicherung der Daten (Datenverarbeitung). Die Daten sollten auf Servern in der EU oder im EWR gespeichert werden. Anderenfalls sind besondere Vorgaben der DSGVO zum Thema Datenübermittlung in Drittstaaten zu beachten.
Fixe Prämie als „Back-up“
Es empfiehlt sich, zusätzlich zur variablen Prämie auch eine fixe Prämie als „Back-up“ zu vereinbaren. Dabei könnte es sich um jene fixe Prämie handeln, die man auch in aktuell gängigen Versicherungsprodukten mit dem Kunden vereinbaren würde. Diese Fixprämie kann verrechnet werden, wenn der Kunde z.B. seine Zustimmung zur Datenverarbeitung zurücknimmt, oder wenn die Vereinbarung der variablen Prämie – wegen rechtlich falscher Umsetzung – gerichtlich für unwirksam erklärt wird.
Durch die automatische Prämienanpassung darf es zu keiner unsachlichen Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen kommen. Z.B. könnten Bewohner alpiner Regionen diskriminiert werden, wenn der Aufenthalt über einer bestimmten Höhe als Indiz für (gefahrenerhöhendes) Bergsteigen gewertet wird, auch wenn die Kunden bloß ihrem Alltag nachgehen. Diesfalls könnte eine ungerechtfertigte Differenzierung zwischen den einzelnen Kunden vorliegen und damit ein Verstoß gegen den aufsichtsrechtlichen Grundsatz „gleiche Prämie für gleiches Risiko“ (§ 275 Abs 2 Z 2 VAG).
Ist das Risiko jedoch tatsächlich höher (die Unterscheidung zwischen den Kunden daher gerechtfertigt), wird dies in die Prämienkalkulation einfließen dürfen. Z.B. bei Auto-Pendlern, die auf Grund einer häufigen Fahrzeugnutzung ein höheres Unfallrisiko haben. Es empfiehlt sich, mit einem Kunden mit höherem Risiko schon zu Beginn eine höhere Basis-Prämie zu vereinbaren. Dies verringert die Gefahr, dass der Kunde von einem variablen Preis, der um einiges höher ist als die Basis-Prämie, überrascht wird.
Prämieneinnahmen und Leistung des Versicherungsunternehmens dürfen nicht auseinanderklaffen. Unzulässig wäre es, wenn die variable Prämie so ausgestaltet ist, dass die Gesamtheit der Versicherungsnehmer insgesamt mehr Prämien zahlt, dies aber keinem größeren übernommenen Gesamtrisiko gegenübersteht. Als Vergleichswert dienen die Gesamtprämien und das Gesamtrisiko bei Fixprämienverträgen.
Anpassung der Prämie an das individuelle Risiko – drei Herausforderungen
Durch Personalisierung von Versicherungsprodukten kann die Prämie an das individuelle Risiko des Kunden angepasst werden. Für Versicherer ergeben sich dabei drei Herausforderungen: Erstens muss ein geeignetes Messgerät gefunden oder entwickelt und beim Kunden etabliert werden. Zweitens müssen versicherungsmathematische Modelle entwickelt werden, die Risiken einer individuell angepassten Prämie gegenüberstellen, eine Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen verhindern und das Gesamtausmaß des übernommenen Risikos und die Gesamtprämieneinnahmen in einem Gleichgewicht halten. Schließlich muss dieses Konzept rechtlich umgesetzt und in ein Vertragswerk gegossen werden. Insbesondere müssen die Kriterien, die für die Prämienberechnung relevant sind, sowie deren Auswirkung auf die Prämie, präzise, den Berechnungsmodellen entsprechend und für den Kunden verständlich mit diesem vereinbart werden. Hierbei wird es oftmals eines umfassenden Katalogs an Kriterien und deren Auswirkungen auf die Prämie benötigen.
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