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Schadenmeldung nicht unverzüglich erstattet – Das neue „Killerargument“ der RS-Versicherer?

(Bild: ©wetzkaz - stock.adobe.com)

Schadenmeldung nicht unverzüglich erstattet – Das neue „Killerargument“ der RS-Versicherer?

07. August 2024

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6 Min. Lesezeit

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Im Blickpunkt

In den vergangenen Jahren hat sich der OGH mehrfach mit der Schadenmeldungsobliegenheit in der Rechtsschutzversicherung auseinandergesetzt – zuletzt zur GZ 7 Ob 59/24p. Dabei erhärtet sich der Eindruck, dass der OGH konsequent die „Unverzüglichkeit“ der Schadenmeldung im Auge behält und einem möglichen Kausalitätsgegenbeweis im Fall einer Obliegenheitsverletzung offenbar skeptisch gegenübersteht.

Artikel von:

Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA

Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA

Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Lektor an der Donau Uni Krems, WU-Wien und Juridicum Wien

Zeigt dies Auswirkungen in der Praxis? Dem Vernehmen nach ziehen (einige) Rechtsschutzversicherer die „Ablehnungs-Schraube“ noch stärker an; Versicherungsmakler:innen berichten, dass Versicherer bei der Frage, ob eine Schadenmeldung noch als unverzüglich zu werten ist, zwischenzeitig im Zweifel eher ablehnen, als Kostendeckung zu bestätigen.

Allgemeines

Laut Art. 8.1.1. ARB muss der Versicherungsnehmer den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die Sachlage informieren, sobald er Versicherungsschutz verlangt. Dies ist eine spezifische Ausformung der allgemeinen Anzeige- und Auskunftsobliegenheiten gemäß §§ 33 und 34 VersVG (vgl. RIS-Justiz RS0105784).

§ 33 VersVG verpflichtet den Versicherungsnehmer zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalls, definiert als „ohne schuldhaftes Zögern“. In der Rechtsschutzversicherung muss dies jedoch nur erfolgen, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz begehrt, insbesondere wenn kostenauslösende Maßnahmen absehbar sind und eine rechtliche Auseinandersetzung konkretisiert ist (vgl. OGH 7 Ob 206/19y = versdb 2020, 35).

Bei bereits beendetem Rechtsschutzversicherungsvertrag gilt die Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige uneingeschränkt. Der Versicherungsnehmer muss alle Versicherungsfälle, die er nach Vertragsende und Ablauf einer Ausschlussfrist erfährt, unverzüglich melden, ohne auf kostenauslösende Maßnahmen zu warten (vgl. OGH 7 Ob 206/19y = versdb 2020, 35).

Was bedeutet „unverzüglich“ ?

Vorfrage: Ab wann beginnt die „Unverzüglichkeitsfrist“?

Wie erwähnt, gilt für aufrechte Rechtsschutzversicherungsverträge die Obliegenheit zur unverzüglichen Schadenmeldung erst, wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen. Dies soll am Beispiel OGH 7 Ob 164/19x illustriert werden:

Der VN will von seinem Lebensversicherungsvertrag zurücktreten; er erhält das den Rücktritt ablehnende Schreiben des Lebensversicherers am 14.05.2018; ab/mit diesem Zeitpunkt ist mit Kosten für eine rechtliche Auseinandersetzung zu rechnen, die eine Einschaltung des Rechtsschutzversicherers erforderlich machten (= hiermit setzt die Thematik der Unverzüglichkeit der Schadenmeldung an). Die Schadenmeldung langt beim Rechtsschutzversicherer am 22.05.2018, also rund eine Woche danach, ein und wird vom OGH als zeitgerecht erachtet.

Bei bereits beendetem Rechtsschutzversicherungsvertrag darf demgegenüber nicht zugewartet werden, bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen. Der VN hat – der jüngeren, strengen OGH-Judikatur folgend – die Obliegenheit, sämtliche Versicherungsfälle dem Versicherer tatsächlich unverzüglich zur Kenntnis zu bringen; und zwar auch dann, wenn ein Rechtsstreit in der Zukunft bloß absehbar ist (so wörtlich OGH 7 Ob 31/20i = versdb 2020, 37).

Zur Frage der Unverzüglichkeit selbst

Wie ebenfalls erwähnt, setzt eine unverzügliche Schadenmeldung generell voraus, dass diese „ohne schuldhaftes Zögern“ erstattet wird. Diese Umschreibung „ohne schuldhaftes Zögern“ verwendet der Gesetzgeber beispielsweise auch in den Erläuterungen zu § 16 E-Commerce-Gesetz /ECG (ErläutRV 817 BlgNR 21. GP 36); in Deutschland kennt etwa § 121 Abs 1 dt.BGB diese Definition.

Für die Praxis ist eine derartige allgemein gehaltene, abstrakte Formulierung i.d.R. freilich wenig hilfreich, sodass anhand der sogleich überblicksartig – und nicht abschließend – dargestellten Judikatur eine Eingrenzung versucht werden soll:

  • OGH 7 Ob 250/01t: Schadenmeldung „binnen weniger Tage“ ist unverzüglich;
  • OGH 7 Ob 164/19x (siehe bereits oben): Rund eine Woche ist (noch) unverzüglich;
  • OGH 7 Ob 25/22k (zur unverzüglichen Anzeige einer Gefahrenerhöhung): Im Schrifttum wird vertreten, dass grundsätzlich eine Zeitspanne von etwa drei Tagen bis maximal einer Woche dem Unverzüglichkeitserfordernis genügt;
  • OGH 6 Ob 178/04a (außerhalb des Versicherungsrechts; im Regime des ECG): Die Entfernung nach „zumindest einer Woche“ wurde als nicht unverzüglich beurteilt;
  • OGH 7 Ob 48/80: Eine Schadenmeldung nach zwei Wochen ist verspätet;
  • OGH 7 Ob 59/24p: Drei Wochen (nach Deckungsablehnung durch den „falschen“ VR) sind nicht unverzüglich (siehe unten Pkt. 3.);
  • OGH 7 Ob 2/21a: Eine Schadenmeldung nach rund einem Monat ist verspätet / nicht unverzüglich;
  • RSS-E 56/23: Eine Schadenmeldung mehr als drei Monate nachdem sich ein Rechtsstreit abgezeichnet hat, ist nicht unverzüglich;
  • OGH 7 Ob 31/20i: Der VN unterlässt es, die Verfolgung seiner Ansprüche (Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag) während rund zehn Monaten geltend zu machen; dies im Hinblick darauf, dass die Zinsen, die er offenbar dem Lebensversicherer gegenüber im Zuge der begehrten Rückabwicklung geltend zu machen beabsichtigte, ohnedies weiterlaufen würden. Die Schadenmeldung war als verspätet zu werten.

Fazit:

Nach der dargestellten Judikatur und der erwähnten Literatur wird man – unpräjudiziell – einordnen können, dass

  • einige Tage dem Unverzüglichkeitserfordernis jedenfalls genügen dürften, während man
  • wohl ab (spätestens) 1 Woche u. U. kritisch sein muss;
  • 2 Wochen dürfen als nicht mehr unverzüglich gelten.

Anmerkungen von Prof. Erwin Gisch zur jüngsten EntscheidungOGH 7 Ob 59/24p lesen Sie in der AssCompact August-Ausgabe!

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