Dr. Matthias Karrer, Notarzt, Intensivmediziner, Anästhesist, Medical Director der Europ Assistance Österreich und der Schweiz sowie Sprecher bei den AssCompact Trendtagen 2022, berichtet im nachfolgenden Beitrag aus den Erfahrungen von hunderten Rückholungen verunfallter, verletzter oder schwer erkrankter Reisender von allen Teilen der Erde und den dabei anfallenden Kosten.
Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 9/1/2022
Laut den Statistiken der Europäischen Reiseversicherung muss jeder 300. Reisende im Ausland ins Krankenhaus. Die Europ Assistance hat durchschnittlich alle acht Stunden einen Ambulanz-Jet im Einsatz. In Österreich sind es etwa 100 Ambulanzflüge pro Jahr. Da sind Patient_innen dabei, die man nicht anders transportieren kann und die nur liegen können, weil sie sich zum Beispiel in Griechenland den Oberschenkel gebrochen haben.
Der Aufwand hinter einer Rückholung ist enorm, die Logistik dahinter ist das Schwierigste. Ein Beispiel: Wir wollen eine Patientin ausfliegen und fordern ein Flugzeug an, aber wie kommt sie zum Flieger? Bringe ich sie mit einem bodengebundenen Transportmittel hin oder mit einem Hubschrauber? Es gilt, eine Crew zu finden, die diese Patientin mit ihrer Beeinträchtigung transportieren kann. Ich muss mit den Krankenhäusern vor Ort kommunizieren und eine Freigabe erwirken. Ich muss sicherstellen, dass die Patientin stabil genug ist, dass sie nicht nur den Transport überlebt, sondern sich ihr Zustand auch nicht verschlechtert. Dann fängt das zweite große Thema an: Ich muss ein adäquates Bett und ein Krankenhaus in Österreich finden. Braucht die Patientin ein Intensivbett? Das ist alles zu organisieren, noch bevor der Rücktransport beginnt. Die Erfolgsgeschichten sind dann das Werk des gesamten Teams. Auch wenn ich die Entscheidung treffe, spielt mein Team eine wichtige Rolle. Es trägt mir die wesentlichen Informationen zu. Eine Rückholung ist wie ein Uhrwerk, alle Zahnräder müssen perfekt ineinandergreifen, damit am Ende ein erfolgreicher Transport in die Heimat erfolgt.
Dabei spielt das Netzwerk der Europ Assistance eine große Rolle. Ich sitze auch im Lenkungsausschuss der Europ Assistance Holding. Daher bin ich viel im Austausch mit Medical Directors anderer Länder und habe ein gutes Netzwerk. Ich habe den Chefarzt in Thailand angerufen und um Rat gefragt, wie wir einen beatmeten Intensivpatienten optimal aus Thailand rausholen. Die thailändischen Kolleg_innen konnten den Patienten in einer Linienmaschine beatmet nach Hause fliegen, da es in dieser Situation besser war als ein Ambulanzjet. Das war eine Premiere und hat super funktioniert. Wenn Patient_innen stabil sind, spart dies enorme Kosten bei gleicher Qualität. Auch wenn ich nicht weiß, wie gut die Versorgung vor Ort ist, kann ich Kolleg_innen aus der betroffenen Region anrufen und mich erkundigen, ob es besser wäre, vor Ort zu behandeln oder eine Rückholung einzuleiten.
Jedem kann alles passieren
Ein weiteres Beispiel: Eine Frau hat in Amerika eine Gehirnblutung erlitten. Die Kosten für ihre Behandlung beliefen sich auf 1 Mio. Dollar. Dann kann man sehr schnell Privatkonkurs anmelden, wenn man nicht in eine Reiseversicherung investiert hat. Ein Ambulanz-Jet kostet zwischen 70.000 und 100.000 Euro, wenn man in Thailand ist. Die Kosten der Reiseversicherung stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten, die anfallen, wenn was passiert. In diesem Sinn kann ich nur raten, eine Versicherung bei einem Anbieter abzuschließen, der auch entsprechende Leistungen erbringt. Da gibt es enorme Unterschiede.
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Über den logistischen Aufwand einer Rückholung aus aller Welt, den Ablauf und das Zusammenspiel zwischen Einsatzzentrale und Reiseversicherung, Arzt und Sanitäter, Airline und Piloten, Behörden und Krankenhäusern und welche Zahnräder ineinander greifen müssen, damit ein schwer verletzter Patient erfolgreich aus dem Ausland repatriiert werden kann, darüber berichtet Dr. Matthias Karrer in seinem Vortrag bei den AssCompact Trendtagen am 6. Oktober. Unterlegt werden seine Ausführungen mit einer Vielzahl an Beispielen.
Unterstützt wird der Vortrag von der Europäischen Reiseversicherung. Das Thema sei vor allem deshalb so wichtig, weil immer noch unterschätzt wird, wie viel und was auf Reisen alles passieren kann, so Vorstandsmitglied der Europäischen Reiseversicherung Mag. Andreas Sturmlechner: „Im Durchschnitt rufen uns täglich sieben Kund_innen wegen eines Notfalls an. Immer ist es für die Betroffenen ein unerwartetes und oft schlimmes Ereignis, das sie vor große Herausforderungen stellt. Ohne unsere Einsatzzentrale, ärztliche Hilfe und Rückholung würden manche Fälle fatal ausgehen. Vom finanziellen Risiko ganz zu schweigen. Wir wollen mit Dr. Karrers Vortrag beim AssCompact Trendtag aufklären und darstellen, was in der Praxis konkret passiert.“
Die größten Herausforderungen für die Europäische Reiseversicherung sind, laut Sturmlechner, die derzeit starke Zunahme an Schäden, verbunden mit der Steigerung der Kosten. „Da spielt nicht nur die Inflation eine Rolle, auch zum Beispiel der Treibstoff für den Ambulanzjet ist entsprechend teurer geworden.“
Sowohl die Pandemie als auch der Krieg haben das Bedürfnis nach Sicherheit bei den Menschen gesteigert, weiß Sturmlechner. Damit sei auch die Bereitschaft gestiegen, Urlaub und Reisen abzusichern. „Die Abschlussquoten waren im Bereich des Stornoschutzes noch nie so hoch wie aktuell. Jedoch sehe ich bezüglich des Risikos eines Unfalles oder einer Erkrankung während des Urlaubs oder der Geschäftsreise nach wie vor Aufklärungsbedarf. Dr. Karrer wird dazu viele wertvolle Informationen liefern.“
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Foto oben: Dr. Matthias Karrer, Notarzt, Intensivmediziner, Anästhesist und Medical Director der Europ Assistance Österreich und der Schweiz
Titelbild: © Jokiewalker – stock.adobe.com
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