Wir leben in einem Jahrzehnt der Krisen – Pandemie, Ukraine-Krieg, Klimawandel, Energiekrise, Inflation – was sich durch die Rückkehr höherer Zinsen ändert und wie sich die explodierenden Preissteigerungen auswirken, darüber spricht Dr. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung, im Interview.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 10/11/2022
Nachdem die Inflation bereits im August 2022 bei 9,1% stand, wird Geld auf den Sparbüchern oder Girokonten immer weniger wert. Die Verzinsung werde zwar aufgrund der Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank ein bisschen steigen, aber die Lücke zwischen Inflationsrate und realer Verzinsung bleibe groß. Auch Investments in Gold oder sichere Staatsanleihen können aufgrund der niedrigen Zinsen die Geldentwertung nicht kompensieren, ist sich Ralph Müller sicher. „Obwohl derzeit die finanziellen Belastungen durch die hohe Inflation spürbar steigen, sehen wir, dass die Menschen besonders in Krisenzeiten Sicherheit und Halt suchen“, so Ralph Müller. „Bislang sehen wir noch keine Auswirkungen auf das Vorsorgeverhalten. Wir verzeichnen weiterhin eine stabile Nachfrage nach unseren Produktlösungen, vor allem in der privaten Gesundheitsvorsorge und in der Sachversicherung. In der Altersvorsorge muss man sagen, dass die expansive Geldpolitik der EZB in der letzten Dekade den Sparerinnen und Sparern sowie Vorsorgewilligen einiges abverlangt hat. Doch diese Phase ist jetzt vorbei, die Zinswende kann eine Trendwende in der Altersvorsorge bringen.“
Zinswende: Was ändert sich durch die Rückkehr höherer Zinsen?
Die Zinswende sei ein positives Signal für Spar- und Vorsorgekundinnen und -kunden und ein Schritt in Richtung geldpolitische Normalität, ist sich Müller sicher. Kundengelder könnten wieder ertragreicher angelegt werden, höhere Zinsen machen Lebensversicherungen wieder attraktiver, die Gewinnbeteiligung wird in den kommenden Jahren steigen. „Damit sind Vermögensaufbau und Altersvorsorge gerade für Jüngere wieder effektiver möglich“, so Müller. „Die Lebensversicherung wird wieder mehr an Bedeutung gewinnen, weil sie stabile Renditen liefert und biometrische Risiken beispielsweise für die Absicherung im Todesfall und des Langlebigkeitsrisikos übernehmen kann – das bietet nur diese Sparte. Und nicht zuletzt wird private Altersvorsorge aufgrund des demografischen Wandels und der angespannten Budgetsituation immer dringender. Die Politik täte gut daran, private Vorsorge zu fördern.“
Explodierende Preissteigerungen und die Konsequenzen
Die größten Preistreiber derzeit seien, so Müller, die Energiekosten, die sich in allen Bereichen niederschlagen. Das betreffe auch den Immobilienmarkt aufgrund der gestiegenen Baukosten. „Größte Kostentreiber im Wohnhaus- und Siedlungsbau sind die Preise für Holz, Polystyrol und Schaumstoffplatten. Diese Preissteigerungen haben aber nicht nur Auswirkungen auf Neubauten, sondern treffen alle Immobilienbesitzerinnen und -besitzer, denn aufgrund der gestiegenen Preise reichen im Schadenfall die vor Jahren vereinbarten Deckungssummen nicht mehr aus, um den Originalzustand wiederherzustellen. Damit steigt die Gefahr von Unterversicherung – speziell im Eigenheimbereich“, erklärt Müller und informiert weiter: „Zu den zu geringen Deckungssummen kommen oft noch massive Wertsteigerungen bei Immobilien durch Zubau, Pool, Carports und ähnliches. Kundinnen und Kunden sind gut beraten, wenn sie Deckungsumfang und Versicherungssummen mit ihrer Beraterin oder ihrem Berater analysieren und gegebenenfalls anpassen lassen. Eine sinnvolle Erhöhung ist – je nach Lage – oft schon mit wenigen Euro möglich.“
Globale Lieferketten stark beeinträchtigt
Auch die Pandemie und der Ukraine-Krieg wirken sich auf Lieferketten und generell auf Unternehmen aus. So sind die globalen Lieferketten bereits seit Beginn der Pandemie durch die Schließungen von Fabriken und Häfen sowie Schwierigkeiten bei der Beschaffung und Logistik von Rohstoffen stark beeinträchtigt. Der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Gas- und Energieknappheit haben die Rahmenbedingungen für viele Unternehmen weiter erschwert und zu einem Anstieg deren Vulnerabilität geführt. Aufgabe der Wiener Städtischen sei es jetzt umso mehr, der ökonomischen Verunsicherung von Unternehmen gegenzusteuern, so Müller. „Aufgrund der längeren Betriebsunterbrechungen durch Lieferverzögerungen werden auch längere Haftungszeiten nachgefragt und in manchen Branchen steigen die Deckungsbeiträge, etwa bei Energie, Holz und Baustoffen. Dadurch kostet ein Tag Betriebsunterbrechung deutlich mehr. Dementsprechend müssen Versicherungssummen angepasst werden. Als Versicherer beobachten wir ganz genau den dadurch steigenden durchschnittlichen und maximalen Schaden sowie den zusätzlichen Kapazitätsbedarf. In der derzeit herrschenden Marktsituation führt der Weg auf lange Sicht an höheren Prämien bzw. höheren Selbstbehalten leider nicht vorbei. Die Wiener Städtische ist jedoch von dem Grundsatz geleitet, ihre Kundinnen und Kunden auch in dieser Krise bestmöglich zu unterstützen und individuelle Lösungen anzubieten.“
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Foto oben: Dr. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung (Fotos: © Jeff Mangione)
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