Könnte der Ausstieg aus den Nullzinsen zu einem Kollaps der Wirtschaft führen? Diese Sorge ist unbegründet, meinen Allianz-Experten in einer aktuellen Studie. Die geldpolitische Normalisierung werde keine Rezession auslösen.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 07.06.2017
Die Tage der extremen Niedrigzinsen scheinen gezählt. Privathaushalte und kleinere Unternehmen können sich nicht wie Staaten mit langfristigen Schuldtiteln gegen einen drohenden Zinsanstieg schützen, sondern sind vielmehr abhängig von Banken, die Zinssteigerungen tendenziell schnell an Kreditnehmer weiterreichen. „Im Markt nehmen daher die Befürchtungen zu, dass der Ausstieg aus den Nullzinsen zum Kollaps der Wirtschaft führen könnte – die auf Schulden gebaut und deren Akteure mittlerweile abhängig von der ‚Droge‘ des billigen Geldes seien. Aber diese Ängste sind übertrieben“, sagt Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz. Die zusätzliche Zinslast bleibe für den Privatsektor in der Eurozone durchaus tragbar.
Überdurchschnittlicher Anstieg in Österreich
In Österreich dürften die Zinszahlungen bis 2022 stärker als in den meisten anderen Ländern wachsen. Im wahrscheinlichsten Szenario einer sanften Normalisierung würden die Zinszahlungen um rund 6 Mrd. Euro steigen. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung – 1,1 Prozentpunkte des BIP – ist dies nach Portugal der kräftigste Anstieg in der Eurozone. Derzeit profitiert Österreich noch stark von seinem Status als stabiles „Euro-Kernland“, die Zinsen sowohl für Haushalte als auch Unternehmen liegen deutlich unter dem Euro-Durchschnitt. „Mit Fortsetzung der Erholung im Euroraum dürfte sich dieser Zinsvorsprung aber wieder zurückbilden, das heißt die österreichischen Zinsen nähern sich wieder dem Durchschnitt an“, erwartet Martin Bruckner, Vorstandssprecher der Allianz Investmentbank AG und Chief Investment Officer der Allianz Gruppe in Österreich.
Privathaushalte und Unternehmen haben von Niedrigzinsen profitiert
Zuletzt hatte der heimische Privatsektor besonders stark von den Niedrigzinsen profitiert. Die Zinszahlungen gingen von über 17 Mrd. Euro anno 2008 auf knapp 8 Mrd. Euro im vergangenen Jahr zurück. In Prozent des BIP bedeutet dies einen Rückgang um 3,7% und damit um 0,3 Prozentpunkte mehr als im europäischen Schnitt. Im gesamten Euroraum sind die privaten Schulden, gemessen an der Wirtschaftsleistung, seit Ende der „Nuller-Jahre“ um 16% zurückgegangen. Die jährlichen Zinszahlungen reduzierten sich zwischen 2008 und 2016 um rund 300 Mrd. Euro; in kumulativer Rechnung „sparte“ der Privatsektor etwa 1.550 Mrd. Euro in dieser Zeit. Am stärksten profitierten von den Niedrigzinsen private Schuldner in Irland, Spanien und Portugal, wo sich die Schuldendienstquote um rund 7 Prozentpunkte absenkte.
Privatsektor kann Belastung verkraften
„Am Ende des Tages sind steigende Zinsen natürlich keine willkommene Neuigkeit für private Schuldner“, betonen die Studienautoren. Unterm Strich sei der Privatsektor in ganz Europa aber in der Verfassung, diese Belastung zu verkraften.
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