Selbstfahrende Autos sollen bald schon Normalität auf den Straßen sein. Was das für Kfz-Versicherer bedeutet, diskutierten Experten auf Einladung des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 05.04.2019
Erste Fahrzeuge, mit denen teilautomatisiert gefahren werden kann, sind längst auf den Straßen unterwegs. Systeme zum teil- oder hochautomatisierten Fahren werden in naher Zukunft zur Grundausstattung aller Fahrzeuge zählen. Dabei haben sich sechs Abstufungen etabliert: von der Stufe 0 – der Fahrer steuert sein Fahrzeug ohne jede technische Hilfe – bis hin zur Stufe 5 – das Fahrzeug fährt vollautomatisch, menschliche Eingriffe sind nicht vorgesehen. Einzelne Hersteller peilen an, bis 2021 Stufe 3 als Standard durchzusetzen. Das Beratungsunternehmen Accenture geht davon aus, dass bereits 2050 mehr autonom als von Menschen gesteuerte Fahrzeuge unterwegs sein werden.
Sinkende Prämien, neue Risiken
Auch auf Stufe 5 werde für die Betriebsgefahr der Fahrzeughalter haften, ist Generaldirektor Dr. Josef Stockinger überzeugt: „Die individuelle Kfz-Haftpflichtversicherung bleibt damit weiter unverzichtbar. Einer hoffentlich sinkenden Anzahl von Unfallschäden und damit geringeren Versicherungsprämien stehen aber neue Risken, etwa der Ausfall von Fahrersystemen gegenüber.“
Generell tragen verbesserte Sicherheitssysteme und elektronische „Helferleins“ in den Fahrzeugen zu einer Reduktion der Schäden und damit auch zur Stabilität der Prämien bei. Während die Kosten für Anschaffung und Reparaturen stark angezogen haben, seien etwa die Prämien in der Kfz-Haftpflicht um rund acht Prozent niedriger als vor 15 Jahren. Gleichzeitig sei der Verbraucherpreisindex um mehr als 32% gestiegen, was auch die im gleichen Zeitraum um rund zehn Prozent erhöhten Prämien in der Kaskoversicherung relativiere.
Noch viele Hürden
Die Weichen für autonomes Fahren sind laut Günther Apfalter, President von Magna Europe und Magna Steyr, zwar gestellt, jedoch seien bis zum tatsächlich fahrerlosen Auto noch regulatorische und vor allem technische Hürden zu nehmen. Den Schlüssel zum Erfolg bei der Überwindung dieser technologischen Herausforderungen sieht er im Zusammenspiel von Herstellern, Zulieferern und neuen Marktteilnehmern.
Großes Potenzial für unfallfreien Straßenverkehr
Für Othmar Thann, Direktor des Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV), müssen vor allem die „Rahmenbedingungen“ geschaffen werden, „die es den Menschen ermöglichen in Zukunft sicher unterwegs zu sein“. Im automatisierten Fahren sieht er großes Potenzial für einen unfallfreien Straßenverkehr. Eine wirksame Unfallprävention entstehe aber nur durch das Zusammenwirken abgestimmter Maßnahmen in der Infrastruktur, Stadtplanung und Gesetzgebung bis zur persönlichen Bewusstseinsbildung.
Risiko wird neu definiert
Die verstärkte Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen verändert das Zusammenspiel aller Verkehrsteilnehmer und der Verkehrsinfrastruktur. „Das Risiko von Mobilität wird dadurch teilweise neu definiert“, so Dieter Pscheidl, Leiter des Bereichs für Europäische Angelegenheiten bei der Vienna Insurance Group. Die Entwicklung lässt sich dabei in einem Drei-Schichten-Modell abbilden:
1. Verkehrsopferschutz
Seit 1972 verfolgt die EU-Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie das Ziel einer raschen und unkomplizierten Entschädigung von Verkehrsopfern. Daran werde sich auch durch Automatisierung und Vernetzung nichts ändern. Gleichzeitig erhöhen sich die Ansprüche an Kraftfahrzeuglenker: Der ordnungsgemäße Betrieb umfasst auch das Reinhalten von Sensoren oder Updates der jeweils neuesten Softwareversion.
2. Haftungskette
Wurde die schadensursächliche Entscheidung von Mensch oder Maschine getroffen? Diese heikle Frage stellt sich durch zunehmende Automatisierung immer häufiger. Denn künftig gibt es mehrere „Fahrzeug-Lenker“: neben dem „eigentlichen“ Fahrer auch Kfz-Hersteller, Software-Entwickler, Betreiber der Verkehrsinfrastruktur, Telekommunikationsanbieter usw. In Zukunft müssen im Schadensfall längere Haftungsketten aufgelöst werden, um gegebenenfalls Regress zu nehmen. Dazu benötigt die Schadensabwicklung Zugang zu Fahrzeugdaten, insbesondere zu Datenschreibern, die nach jüngsten EU-Vorgaben künftig verpflichtend in allen PKW und leichten LKW zu verbauen sind.
3. Systemisches Risiko
„Unabhängigkeit“ ist ein wesentliches Kriterium der Versicherbarkeit. Ein Schadenereignis sollte die Wahrscheinlichkeit weiterer Schadenereignisse nicht erhöhen. Sowohl Automatisierung als auch Vernetzung von Einzelrisiken im Straßenverkehr können einen Domino-Effekt auslösen: Ein Störfall in der Verkehrsinfrastruktur oder im Telekommunikationsnetz erfasst zugleich das gesamte Kollektiv der Straßenverkehrsteilnehmer und fördert das Potenzial von Masseschäden.
Schäden werden teurer
Fazit der Diskussionsrunde: Zusätzlich zur Halter-Haftpflicht, die auch in Zukunft aufrecht bleibe, komme eine mögliche Haftung des Herstellers oder etwa des Zulieferers der Steuerungssoftware infrage. Regresse werden deshalb für Versicherer künftig bei der Schadenregulierung eine stärkere Rolle spielen. Aufgrund der komplexen Technik werden Schäden vielschichtiger und damit die Abwicklung aufwendiger und der einzelne Schadensfall im Durchschnitt teurer. Die Kaskoversicherung werde daher noch weiter an Bedeutung gewinnen.
Foto (v.l.): Dieter Pscheidl, Günther Apfalter, Othmar Thann, Josef Stockinger
zurück zur Übersicht
Beitrag speichern
sharing is caring
Das könnte Sie auch interessieren