Ein Versicherungsnehmer hatte es nach einem Unfall verabsäumt seinen Anspruch auf Neubemessung des Invaliditätsgrades innerhalb der im Versicherungsvertrag genannten Vier-Jahres-Frist geltend zu machen. Seine Begründung: depressive Phasen, die Ihn in seiner Geschäftsfähigkeit beinträchtigen. In einem Gerichtsverfahren musste geklärt werden, ob die Berufung auf den Ablauf der Vier-Jahres-Frist des Art 7.7 AUVB gegen Treu und Glauben verstößt.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 08.02.2022
Der klagende Versicherungsnehmer hat mit der beklagten Versicherung einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Nach einem vom Versicherungsschutz umfassten Unfall konnte beim Versicherungsnehmer der Invaliditätsgrad noch nicht abschließend bewertet werden. In diesem Zusammenhang lauten die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden AUVB auszugsweise wie folgt:
„Artikel 7
[...]
7. Steht der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl die versicherte Person als auch wir berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen, ...“
Im vorliegenden Fall hat es jedoch der Versicherungsnehmer verabsäumt seinen Anspruch auf Neubemessung innerhalb der genannten Vier-Jahres-Frist geltend zu machen. Er begründete seine Säumnis damit, dass er wegen depressiven Phasen in seiner Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt war und er dadurch daran gehindert gewesen sein soll, (allfällige) Ansprüche verfolgen zu können.
Dennoch wurde von der beklagten Versicherung die vom Versicherungsnehmer nach Ablauf der Vier-Jahres-Frist beantragte Neubemessung unter Verweis auf Art 7.7 AUVB abgelehnt. Dazu führte die Versicherung aus, dass beim Versicherungsnehmer innerhalb der vier Jahre keine durchgehende depressive Phase bestand, während der seine Fähigkeiten herabgesetzt waren. Vielmehr gab es wiederholt – wenn auch zum Teil kurze – Phasen von Tagen, Wochen und Monaten, in denen sich der Zustand des Versicherungsnehmers zum Teil vollkommen normalisierte, in denen er keine Symptome aufwies und keinen Einschränkungen unterlag. In diesen Zeiten führte er mit der beklagten Versicherung sogar eine umfangreiche versicherungsbezogene Korrespondenz.
Im vom Versicherungsnehmer eingeleiteten Gerichtsverfahren war sodann zu beurteilen, ob die Berufung auf den Ablauf der Vier-Jahres-Frist des Art 7.7 AUVB gegen Treu und Glauben verstößt.
Wie ist die Rechtslage?
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes (OGH 18.10.2021, 7 Ob 167/21s) beinhaltet Art 7.7 AUVB eine Ausschlussfrist. Wird demnach die Antragstellung auf Neubemessung innerhalb von vier Jahren ab Unfalltag versäumt, bleibt es bei der bisherigen Bemessung des Invaliditätsgrades. Eine (weitere) Neubemessung für einen Zeitpunkt nach Fristablauf ist ausgeschlossen, sodass ein (weiterer) Entschädigungsanspruch grundsätzlich erlischt. Der OGH hat allerdings bereits mehrfach entschieden, dass die Berufung der Versicherung auf den Ablauf der Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoßen kann. Ein solcher Verstoß kann unter anderem dann vorliegen, wenn die Berufung auf die Ausschlussfrist gegenüber nicht voll geschäftsfähigen Personen erfolgt, da solche Personen den besonderen Schutz der Gesetze genießen und von den Gerichten im Rahmen einer umfassenden Fürsorgepflicht vor Übervorteilung im Geschäftsverkehr bewahrt werden sollen. Entscheidungswesentlich ist dabei, ob die Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung für dauernde Invalidität tatsächlich an einer nach dem Unfall vorgelegenen geistigen Beeinträchtigung des Versicherungsnehmers scheiterte.
Schlussfolgerung
Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch: „Die nach Treu und Glauben zu entscheidende Frage, ob ein Versicherungsnehmer aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung seinen Anspruch auf Neubemessung auch nach Ablauf von vier Jahren vom Unfalltag an geltend machen kann, hängt typischerweise von den Umständen des Einzelfalls ab. Im vorliegenden Fall ist der Antrag auf Neubemessung binnen vier Jahren ab Unfalltag jedoch nicht an einer nach dem Unfall vorgelegenen geistigen Beeinträchtigung des klagenden Versicherungsnehmers gescheitert, da keine durchgehende depressive Phase bestand. Die Berufung der beklagten Versicherung auf die Ausschlussfrist des Art 7.7 AUVB widersprach daher auch nicht Treu und Glauben.“
Von Dr. Roland Weinrauch (Foto), Gründer der Kanzlei Weinrauch Rechtsanwälte: https://weinrauch-rechtsanwaelte.at/
Titelbild: ©Rawf8 – stock.adobe.com
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