Neuwertversicherungen sind mittlerweile gängige Praxis, und die meisten damit verbundenen Fragen wurden bereits geklärt. Ein aktuelles Urteil des OGH (7 Ob 54/24b vom 28.08.2024) verdeutlicht jedoch, wie wichtig es ist, die genauen Versicherungsbedingungen zu kennen.
Artikel von:
Dr. Wolfgang Reisinger
Lektor WU Wien und der Donau-Universität Krems
Im versicherten Wohnhaus kam es zu einem Brand. Nach den AVB erwirbt der VN den Anspruch auf Zahlung des die Zeitwertentschädigung übersteigenden Teiles nur insoweit, als die Verwendung der Entschädigung zur Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung von Gebäuden innerhalb dreier Jahre nach dem Schadenfall sichergestellt ist. Der Neuwertschaden für das Gebäude wurde mit rund 284.000 Euro geschätzt, die tatsächlich angefallenen Kosten betrugen rund 249.000 Euro. Die VN behauptete, es stehe ihr der Neuwertschaden für das Gebäude in der ermittelten Höhe zu, unabhängig davon, zu welchem Preis sie die Wiedererrichtung tatsächlich vorgenommen habe. Die günstigere Wiedererrichtung sei auf das Verhandlungsgeschick der VN und den Umstand zurückzuführen, dass sie das Gebäude nicht in der Qualität wiedererrichtet habe, welche vor dem Schaden bestanden habe. Sie habe daher unabhängig von den tatsächlichen Baukosten Anspruch auf den Neuwert.
Entscheidungsgründe
Bei der Bemessung des Ersatzumfanges des Gebäudeschadens ist die konkret gewählte Ausgestaltung der Wiederherstellungsklausel maßgeblich. Wenn der VN nach der Bedingungslage den Anspruch auf Zahlung des die Zeitwertentschädigung übersteigenden Teiles der Entschädigung nur insoweit erwirbt, als dieser Teil zusammen mit der Zeitwertentschädigung den Wiederherstellungsaufwand nicht übersteigt, kommt es darauf an, in welchem Umfang der Wiederherstellungsaufwand die Entschädigung verbraucht; maßgebend ist demnach der tatsächliche Aufwand. Der Versicherer kann danach einen Abzug vornehmen, wenn die Wiederbeschaffung weniger gekostet hat. Sofern in den AVB hingegen keine diesbezüglichen Einschränkungen vorgesehen sind, ist unabhängig von einem allenfalls niedrigeren tatsächlichen Wiederherstellungsaufwand die nach der Wiederherstellungsklausel zustehende Entschädigung in vollem Umfang zu leisten. Zahlt daher der VN weniger als die festgestellten Wiederbeschaffungskosten, so kommt ihm das zugute.
Kommentar
Es ist ständige Judikatur, dass der tatsächliche Aufwand maßgebend ist und der Versicherer einen Abzug vornehmen kann, wenn die Wiederbeschaffung weniger gekostet hat als ursprünglich geschätzt (OGH 7 Ob 7/84, 7 Ob 28/92, 7 Ob 230/07k). Möchte man kleiner oder weniger aufwendig wiedererrichten, ist anzuraten, den Versicherer wegen einer für beide Seiten günstigen Lösung zu kontaktieren. Man könnte etwa vereinbaren, die Differenz zwischen Zeitwert und Neuwert (die sogenannte Neuwertspanne) aufzuteilen. Man muss aber genau schauen, wie die AVB formuliert sind. Die Sicherstellung der Wiederherstellung innerhalb einer vertraglich vereinbarten Frist (meistens drei Jahre) ist überall Voraussetzung, um in den Genuss der vollen Neuwertspanne zu kommen. Das war auch hier so. In vielen AVB ist aber zusätzlich vorgeschrieben, dass die Entschädigung, die über dem Zeitwert liegt, „zusammen mit der Zeitwertentschädigung den Wiederherstellungsaufwand nicht übersteigt“. Liegt also der tatsächliche Wiederherstellungsaufwand unter dem Neuwert, ist der Versicherer nur verpflichtet, den tatsächlichen Wiederherstellungsaufwand zu bezahlen. Im vorliegenden Fall fehlten diese Worte, weshalb die VN trotz geringerem Wiederherstellungsaufwand Anspruch auf den gesamten Neuwert hatte.
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