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OGH: Selbstmordversuch kann Unfall sein

OGH: Selbstmordversuch kann Unfall sein

14. Februar 2018

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3 Min. Lesezeit

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News-Recht & Wissen

Nach dem Sprung einer Frau vom Balkon kam es zu einem Deckungsstreit mit dem Unfallversicherer. Warum dieser in diesem Fall leistungspflichtig sei, führt der Oberste Gerichtshof (OGH) aus.

Mag. Peter Kalab

Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 14.02.2018

Der spätere Kläger hatte eine Unfallversicherung abgeschlossen, in der auch seine Frau mitversichert war. Laut den Bedingungen sind Unfälle vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, „die die versicherte Person infolge einer wesentlichen Beeinträchtigung ihrer psychischen oder physischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol, Suchtgifte oder Medikamente erleidet“.

Wenige Monate nach der Geburt ihrer Tochter im März 2014 entwickelte die Frau eine postnatale Depression, die mit Schlafstörungen und Selbstmordgedanken einherging. Am 24. Juni 2014 kam es zu einem Suizidversuch, bei dem die Frau vom Balkon des Schlafzimmers aus sieben Meter in die Tiefe sprang. Am 13. August brachte ihr Mann die Schadenmeldung beim Unfallversicherer ein, der die Deckung jedoch ablehnte. Die Frau habe den Sturz freiwillig herbeigeführt, weshalb kein Unfall im Sinne der Bedingungen vorgelegen habe. Zudem habe der Kläger eine Gefahrenerhöhung aufgrund der Selbstmordgedanken seiner Frau gar nicht und den Unfall erst verspätet gemeldet. Laut Bedingungen sei ein Unfall nämlich „unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, in geschriebener Form anzuzeigen“.

Frage der „Unfreiwilligkeit“

Die Deckungsklage wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen, die Revision war vor dem OGH (7Ob113/17v) schließlich erfolgreich. Ein Unfall liege dann vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Die „Unfreiwilligkeit“ beziehe sich dabei stets auf die Verletzung, nicht auf das Unfallereignis. Wenn nicht feststeht, dass sich der Versicherte zumindest bedingt vorsätzlich verletzen wollte, sei im Allgemeinen vom Vorliegen eines Versicherungsfalls auszugehen. Auch wenn, wie das Erstgericht argumentiert, Krankheiten nicht als Unfälle gelten, seien der Gegenstand des Deckungsbegehrens in diesem Fall die Folgen des Sturzes. Dass es sich bei dem Selbstmordversuch um die Folge einer depressiven Störung handle, schließe das Vorliegen eines Unfalls nicht generell aus. Entscheidend sei daher, ob der Sturz unfreiwillig erfolgte.

Sprung vom Balkon nicht abwendbar

Für die OGH liegt ein grundsätzlich deckungspflichtiger Unfall vor. In diesem Fall habe bei der Versicherten eine suizidale Einengung vorgelegen, stellen die Höchstrichter fest. Sie habe zwar ihr Handeln erkennen können, jedoch aufgrund ihrer Depression keine Alternativen mehr zum Selbstmord gesehen, sodass ihr keine freie Willensbildung mehr möglich war. Der Selbstmordversuch war Folge der psychischen Krankheit und in der Phase des ihres krankheitsbedingten Verhaltens nicht abwendbar. Die damit verbundene Gesundheitsschädigung ist unter diesen Umständen „unfreiwillig“. Die von der Versicherung behaupteten Obliegenheitsverletzungen bezüglich der fristgerechten Anzeige seien allerdings noch zu klären.

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