Die VOLKSBANK WIEN AG, der Verein ganznormal.at und die SPARDA-BANK luden am 4. Oktober zu einem Business-Frühstück im Flughafentower in Schwechat ein. Ein hochkarätig besetztes Podium diskutierte über die steigenden Belastungen durch psychische Erkrankungen und mögliche Lösungsansätze.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 08.10.2024
2023 wurden in Österreich 5,8 Millionen Krankenstandstage aufgrund psychischer Erkrankungen gezählt. Die durchschnittliche Dauer eines solchen Krankenstandes liegt bei 37,2 Tagen. Der Anteil psychischer Erkrankungen ist seit 1994 von 2,6% auf 10,23% aller Krankenstandstage gestiegen.
Alexander Biach, Generaldirektor der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, erklärte: „Die Betreuung psychischer Krankheiten muss selbstverständlich werden. Der Weg zur Behandlung soll aus allen Organisationen heraus erleichtert werden.“ Er betonte außerdem, dass man oft die Selbständigen bei den Maßnahmen vergesse: „Für selbständige Unternehmerinnen und Unternehmer ist das Arbeiten alleine oft ganz normal. Wir erreichen sie nicht über interne Mentoring-Programme oder Kampagnen. In Gesunden- und Vorsorgeuntersuchungen müssen deshalb auch psychische Erkrankungen endlich den nötigen Stellenwert bekommen, um präventiv handeln zu können.“ Empathie werde eine zentrale Aufgabenstellung für Führungskräfte, und Biach betonte: „Um dies zu können, müsse man vorerst einmal sich selbst wertschätzen.“
Johanna Klösch, Arbeits- und Organisationspsychologin bei der AK Wien, hob hervor, dass der Arbeitsplatz oft die Ursache für psychische Belastungen sei: „In vielen Fällen ist der Arbeitsplatz der Patient, wodurch sich die Bedeutung der Prävention zeigt.“ Sie erklärte weiter, dass der Anstieg psychischer Erkrankungen auch auf den veränderten Umgang damit zurückzuführen sei: „Natürlich liegt der Anstieg an psychischen Krankheiten auch daran, dass wir heute anders damit umgehen. Beispielsweise war Burnout in den 1990ern noch kein Thema. Das heißt aber nicht, dass es diese Erkrankungen damals nicht gab.“ Zu den Risiken des Homeoffice sagte sie: „Gerade das Homeoffice birgt auch Gefahren psychischer Belastung. Arbeits- und Freizeit können leichter verschwimmen, der unmittelbare Kontakt zu den Arbeitskollegen fehlt und auch die Feedbackkultur ist noch nicht ganz im Remote-Modus angekommen.“ Laut Klösch stehe man beim Thema New Work noch am Anfang und müsse gemeinsam lernen, Chancen und Risiken zu bewältigen: „Wir stehen beim Thema New Work noch ganz am Anfang und müssen gemeinsam lernen, mit Chancen und Risiken umzugehen und die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.“
Eva Pinkelnig, Skispringerin und Sportlerin des Jahres, betonte die Bedeutung von Vorbildern im Umgang mit psychischen Belastungen: „Wenn junge Menschen sehen, dass ihre Idole offen mit psychischen Belastungen umgehen, trauen sie sich das auch. Es hilft auch zu sehen, dass selbst Profisportler und Stars, die vermeintlich ein sorgenfreies Leben führen, nicht vor psychischen Erkrankungen gefeit sind. Jedes Auto braucht manchmal ein Service, genauso braucht jeder Mensch zeitweise mentale Hilfe.“ Sie hob hervor, dass Selbstwertschätzung, Bewegung und persönlicher Kontakt viel wertvoller seien als soziale Medien: „Viele Menschen erwarten von sich selbst einen Perfektionismus, den es so gar nicht geben kann.“
Laut Christian Horak, Partner bei EY Parthenon, stehe noch eine Welle psychischer Erkrankungen bevor, besonders bei jungen Menschen: „Diese Zahlen sind besorgniserregend, besonders auch die psychischen Probleme vieler junger Menschen, die erst ins Arbeitsleben eintreten. Da kommt erst eine Welle auf uns zu.“ Er betonte die Bedeutung der Prävention und sagte, Unternehmen sollten bereits vor Eintritt der Mitarbeitenden ins Berufsleben tätig werden. Er forderte Unternehmen auf, eine „Community“ zu schaffen und betonte, dass Führungskräfte eine zentrale Rolle übernehmen müssen: „Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einmal im Unternehmen sind, dürfe man die Verantwortung der Führungskräfte nicht unterschätzen.“
Die Pandemie verschärfte die Situation weiter. In den Jahren 2020/2021 wurde der höchste Anteil an Krankenstandstagen aufgrund psychischer Erkrankungen verzeichnet, wobei junge Menschen besonders betroffen waren. Laut OECD-Studie „Health at a Glance – Europe 2022“ waren in den Pandemie-Jahren 41,3% der Jugendlichen von Depressionen betroffen, verglichen mit 23,7% in der Gesamtbevölkerung. 2023 entfielen zudem rund 32% aller Frühpensionierungen auf psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen, bei Frauen sogar fast 43%.
Die volkswirtschaftlichen Kosten psychischer Erkrankungen sind erheblich. Laut der OECD-Studie „Health at a Glance“ beliefen sich die Gesamtkosten psychischer Erkrankungen in den 28 EU-Staaten auf 607 Milliarden Euro, was 4,1% des BIP entspricht. In Österreich lagen die Kosten bei 14,93 Milliarden Euro, etwa 4,33% des BIP. Diese umfassen direkte Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem sowie indirekte Kosten für den Arbeitsmarkt.
Die Diskussionsteilnehmenden betonten, dass der offene Umgang mit psychischen Erkrankungen und ihre Entstigmatisierung essenziell seien. Unternehmen sollten gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden präventive Maßnahmen entwickeln, und der Gesetzgeber müsse psychische Belastungen den physischen Erkrankungen gleichstellen. Nur durch Bewusstseinsbildung und frühe Interventionen könnten die Auswirkungen auf Betroffene und die Wirtschaft reduziert werden.
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