Dr. Philipp Wassenberg, Vorstandsvorsitzender der ERGO Versicherung AG und der ERGO Austria International AG, erklärt im Interview, was er unter Unternehmenskultur versteht, wie moderne Führung auszusehen hat und warum es so wichtig ist, dass jeder Mitarbeiter gehört wird.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 29.04.2021
Für Dr. Philipp Wassenberg ist Unternehmenskultur: „All das, was man in einem Unternehmen nicht sieht, aber spürt, sowie die Gesamtheit der ungeschriebenen Gesetze, Normen, Verhaltensweisen und üblichen Gebräuche in einem Unternehmen. Also alles, was nicht irgendwo aufgeschrieben ist, sondern der Umgang und das Selbstverständnis untereinander.“
Laut Dr. Wassenberg gibt es keine moderne oder weniger moderne Unternehmenskultur: „Unternehmenskultur kommt durch die Besonderheiten der einzelnen Unternehmen zustande. Sie ist immer im Fluss und wird stark geprägt durch die Strategie und die Führungsmannschaft. Unternehmenskultur ist also ein Zusammenspiel vieler Elemente und in jedem Unternehmen unterschiedlich. Dennoch gibt es ein Leitbild der Unternehmenskultur und dieses Leitbild unterliegt dem Wandel der Zeit.“
Unternehmenskultur soll zudem in bestmöglicher Weise die Strategie eines Unternehmens unterstützen: „Es gibt viele autoritäre Unternehmenskulturen, die in einzelnen Bereichen auch ihre Berechtigung haben. Wenn zum Beispiel eine Strategie darauf ausgerichtet ist, ein Unternehmen in letzter Sekunde zu retten“, erklärt Dr. Wassenberg. „Aber grundsätzlich ist eine moderne Strategie, gefolgt von einer modernen Unternehmenskultur eher im Sinne einer partizipativen, mitbestimmungsrechtlich starken, transparenten, offenen und ideenfreundlichen Kultur. Eine vernünftige Strategie nützt normalerweise auch solchen Kulturen.“
Mitbestimmung = Wertschätzung
Dr. Wassenberg interpretiert Mitbestimmung nicht im arbeitsrechtlichen, sondern im freiheitlichen Sinne: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens zu hören und deren Meinung auch in die Unternehmensführung miteinzubeziehen. Es ist sehr wichtig, dass man die Menschen, die sich für das Unternehmen einsetzen und ihre Arbeitskraft und damit auch ihr eigenes wertvolles Kapital – ihr Humankapital – zur Verfügung stellen, hört. Somit sind wir wieder bei der Unternehmenskultur, die wie bereits eingangs erwähnt, etwas ist, das man spürt. Dafür ist ein emanzipatorisch gleichwertiges Mitspracherecht wichtig, nicht aber ein juristisches Mitspracherecht.“
Denn Dr. Wassenberg ist sicher, dass viele Mitarbeiter sehr gute Ideen haben und viel mehr Expertise in bestimmten Bereichen als die Führung selbst: „In dem Moment, wo Sie diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ernsthaft zuhören und sich mit deren Ideen auseinandersetzen, bringen Sie ihnen automatisch eine höhere Wertschätzung entgegen. Das hat sicher auch etwas mit Empathie zu tun. Man muss Interesse an dem Mitarbeiter, an dem Menschen haben. Man muss Menschen mögen. Nur so kann man deren Ideen positiv wahrnehmen.“
Führung ist Bestandteil einer guten Unternehmenskultur
„Es gibt ein paar grundlegende Prinzipien moderner Führung, die über alle Zeiten hinaus valide sind“, erklärt Dr. Wassenberg. „Am wichtigsten dabei ist Empathie. Aber auch Empowerment, wo man den Mitarbeitern möglichst viel Freiraum bei der Erledigung ihrer Aufgaben überlässt und dabei nicht alles vorgibt und kontrolliert. Je reifer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, desto mehr Verantwortung wird ihnen übertragen und die Kontrolle zurückgefahren.“
Wie wichtig ist Diversität?
„Eine Vermischung zwischen Jung und Alt ist eine große Bereicherung, wenn man versteht, was „Diversity“ bedeutet“, erläutert Dr. Wassenberg. „Wenn man die verschiedenen Fähigkeiten, die Menschen einbringen, als komplementäre Stärke eines Gesamtunternehmens betrachtet, dann ist es ganz logisch, dass ältere Mitarbeiter ein viel höheres Ausmaß an Erfahrung und Heuristik haben. Wenn man es dann schafft, dass man Mitarbeiter, die über mehr Erfahrungen verfügen, in Teams mit jenen Mitarbeitern, die sehr hungrig nach neuen Ideen, neuen Versuchen und Herausforderungen sind, zusammensetzt und deren komplementäre Fähigkeiten vereinigt, dann kommt man auf einen noch höheren Level. Dasselbe gilt nicht nur für Jung und Alt, sondern auch für verschiedene Kulturen, Backgrounds, Ausbildungen etc.“
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In den vergangenen Jahren kam man zu der Erkenntnis, dass man als Führungskraft nicht darauf pochen sollte, über das meiste Wissen zu verfügen. Stattdessen sollte man die Pluralität des Wissens anerkennen. Dr. Wassenberg ist der Meinung, dass man als Führungskraft demütig werden und akzeptieren muss, dass Leute, die man im Unternehmen aus den verschiedenen Bereichen zusammenbringt, um das Wissen fruchtbar zu machen, schlussendlich mehr wissen als die Führungskraft selbst. „Dabei geht es auch um das Thema ‚Power‘. Auf Macht zu pochen, wie es früher üblich war, ist aus meiner Sicht ein Fehler. Denn mit Empowerment bringt man die Fähigkeiten anderer viel stärker zur Anwendung. Früher hat man sich als Chef großzügig gewissen High Potentials zur Verfügung gestellt. Heute erreicht man viel mehr über Reverse Mentoring: Man holt sich komplementäre, diverse, junge dynamische Menschen, die einen auf dem Laufenden halten – zum Beispiel über digitale Entwicklungen“, so Dr. Wassenberg.
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Foto oben: Dr. Philipp Wassenberg (li.), Vorstandsvorsitzender der ERGO Versicherung AG und der ERGO Austria International AG im Interview mit AssCompact Geschäftsführer Franz Waghubinger
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