Ein Unfallversicherer berechnet eine zu hohe Entschädigung und verlangt die Überzahlung vom VN zurück. Ob dieser verpflichtet ist, den Versicherer zu kontrollieren und welche Rolle dabei eine Entschädigungsquittung spielt, zeigt die Entscheidung OGH 7 Ob 48/19p vom 26.06.2019.
Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 15.10.2019
Von Dr. Wolfgang Reisinger
Sachverhalt
Der VN wurde bei einem Verkehrsunfall insbesondere am rechten Bein und im Bauchraum schwer verletzt. Die Beinwertminderung betrug dauerhaft 30%, somit 21% Gesamtinvalidität. Die sich aufgrund der Unfallfolgen im Bauchbereich ergebende Dauerinvalidität beträgt laut einem Gutachten 20%. Der Versicherer schrieb dem VN unter Anschluss des allgemeinchirurgischen Gutachtens, er könne aufgrund der nun vorliegenden Gutachten eine Abrechnung der Dauerinvalidität dahin vornehmen, dass eine Gesamtinvalidität von 51% vorliege.
Zur Erledigung des Schadenfalles wurde der VN ersucht, eine Entschädigungsquittung ausgefüllt und unterfertigt zu retournieren. Diese lautete auszugsweise: „Nach Bezahlung des obengenannten Betrages sind meine Ansprüche …… zur Gänze befriedigt“. Etwa einen Monat nach Überweisung an den VN schrieb ihm der Versicherer, er sei aufgrund einer internen Revision leider auf einen Berechnungsfehler gestoßen. Die Dauerfolgen des Darms seien mit 20% bewertet, die Abrechnung sei „irrtümlicherweise“ aber mit 30% vorgenommen worden. Er ersuche um Refundierung von rund 120.000 Euro. Der VN leistete keine Rückzahlungen und erwiderte, die Parteien hätten mit der Entschädigungsquittung einen Vergleich über die Höhe der Versicherungsleistung abgeschlossen. Im Gegensatz zum Berufungsgericht hat der OGH diesen Standpunkt geteilt.
Entscheidungsgründe
Die übereinstimmende Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass mit der Entschädigungsquittung ein Vergleich über die Höhe der zustehenden Leistung geschlossen wurde, ist nicht zu beanstanden. Ein Vergleich kann nicht angefochten werden, wenn ein Partner beim Abschluss über den wahren Sachverhalt geirrt hat, verlöre doch sonst der Vergleich seinen Sinn. Nur ein Irrtum über die „Vergleichsgrundlage“ kann eine Vergleichsanfechtung rechtfertigen, während der Irrtum über einen von der Bereinigungswirkung erfassten Vergleichspunkt nur bei List in der Irreführung durch den Gegner zur Anfechtung berechtigt. Die Festlegung des Invaliditätsgrades ist als maßgeblicher Vergleichspunkt anzusehen, der nicht angefochten werden kann.
Kommentar
Die hohe Differenz zwischen dem tatsächlich ausgezahlten und dem nach Standpunkt des Versicherers berechtigten Betrag liegt darin, dass ab einem Invaliditätsgrad von 51% zusätzlich 100.000 Euro entschädigt werden. Für den Sachkundigen ergibt sich aus den beiden Gutachten sehr leicht ein Gesamtinvaliditätsgrad von 41% (natürlich nur unter der Voraussetzung, dass die Feststellungen der Sachverständigen korrekt sind). Ein durchschnittlich verständiger VN muss allerdings das Dickicht der AVB mit zahlreichen Progressionen und Sonderentschädigungen nicht unbedingt durchschauen. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass eine unerwartet hohe Summe wie hier einen sorgfältigen VN veranlasst hätte, Verdacht zu schöpfen und den Prozentsatz der Dauerinvalidität nachzuprüfen, kann in dieser Form nicht halten. Natürlich ist es „ungerecht“, wenn ein VN mehr als 120.000 Euro zu viel erhält. Als Versicherer hätte man aber gut daran getan, den Mantel des Vergessens über diesen Irrtum zu breiten.
Der Artikel erscheint in der AssCompact November-Ausgabe.
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