In einer Patientenakte werden Unterlagen zur Krankengeschichte eines Patienten zusammengefasst. Im Leistungsfall sind diese Unterlagen für die Prüfung eventuell bestehender Ansprüche erste Wahl des Versicherers. Doch leider wissen Patienten oft nicht genau, was ihr Arzt dort dokumentiert hat. Dies kann im Falle der Berufsunfähigkeit böse Folgen haben, denn der Versicherer kann eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung geltend machen.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 31.03.2016
Das Szenario „Wenn die Patientenakte zur Falle wird“ ist einfach erklärt, aber im Berufsunfähigkeitsverfahren umso schwerer nachträglich zu korrigieren: Ein Versicherungsnehmer stellt – aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes – einen Antrag auf Leistungen aus seinem Versicherungsvertrag bei seinem Berufsunfähigkeitsversicherer. Der Versicherungsnehmer möchte seine vom Versicherer zugesicherten vertraglichen Leistungen erhalten: Berufsunfähigkeitsrenten (für die Vergangenheit und für die Zukunft), Beitragsbefreiung (für die Vergangenheit und für die Zukunft) sowie etwaige vereinbarte Dynamiken.
Versicherer prüft vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung
Der Versicherer überprüft nun – anhand der eingereichten Unterlagen des Versicherungsnehmers – seine Leistungspflicht. Dabei ist der Versicherer auch berechtigt, eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers zu prüfen. Hierbei holt er sich umfassende Auskünfte bei den behandelnden Ärzten ein. Unabhängig von der Frage, ob der Versicherungsnehmer eine umfassende Schweigepflichtentbindung unterzeichnen sollte, kann der Versicherer also nun direkt Einblick in die Patientenakte des Versicherungsnehmers nehmen.
Patientenakte wird zum Bumerang
Anhand der dem Versicherer überlassenen Patientenakte kann dieser feststellen, welche Diagnosen und Befunde bei dem Versicherungsnehmer von dem jeweiligen Arzt gestellt wurden. Nicht selten kommt es leider vor, dass in der Patientenakte „mehr“ drinsteht, als der Versicherungsnehmer meint, behandelt worden zu sein. Nun kann es zu einem „Worst-Case“-Szenario kommen: Der Versicherungsnehmer hat – möglicherweise mit einem Versicherungsvermittler zusammen – bei der Beantragung des Versicherungsvertrags die Gesundheitsangaben zwar wahrheitsgemäß angegeben, der Versicherer wird sich jedoch nun – aufgrund anderslautender Patientenakte – vom Versicherungsvertrag lösen wollen. Dies kann er mit den folgenden Gestaltungsrechten tun: Anfechtung, Rücktritt oder Kündigung. Möglicherweise stellt sich sogar die Problematik „Arglist“ als „schärfstes Schwert“ des Versicherers. Oft macht der Versicherer alle Gestaltungsrechte in einem Schreiben – hilfsweise – geltend. Damit will der Versicherer übersetzt sagen: „Ich löse mich vom Vertrag, egal wie, und zahle gar nichts. Ich zahle auch keine Prämien zurück“.
Es kann durchaus vorkommen, dass Ärzte Behandlungen bei Versicherungsnehmern „abrechnen“, ohne dass diese medizinisch notwendig und/oder überhaupt gemacht wurden. In einem solchen Fall kann der BU-Vertrag dem Versicherungsnehmer „um die Ohren fliegen“. Der Versicherungsnehmer weiß meist gar nichts von den abgerechneten Behandlungen. Vermehrt stellt sich dieses Szenario bei gesetzlich Versicherten, jedoch auch bei privat Versicherten.
Die Konsequenzen sind ebenso recht einfach erklärt, wie das oben geschilderte Szenario: der Versicherer wird leistungsfrei und der Versicherungsnehmer erhält keine Zahlungen aus dem Versicherungsvertrag. Der Vertrag „erlischt“ sozusagen. Dieses ist natürlich ein unerträglicher Zustand für den Versicherungsnehmer, denn dieser hat den Versicherungsvertrag unter der Prämisse abgeschlossen, für den Fall der Berufsunfähigkeit auch Berufsunfähigkeitsrenten etc. zu erhalten.
Wer trägt die Beweislast?
Dieses Problem kann stets nur im Einzelfall „behandelt“ werden. Der Versicherungsnehmer ist in der Beweislast für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit. Der Versicherer muss beweisen und darlegen, warum er sich auf die Ausübung von Gestaltungsrechten berufen kann. Dies gilt auch für deren Voraussetzungen. Der Versicherer muss also beispielsweise auch das Vorliegen von Arglist beweisen. Dies ist meist nur anhand von Indizien möglich. Hier beginnt sodann die juristische Auseinandersetzung, in welche – unter Umständen – auch der Arzt und/oder die Ärztekammer mit einbezogen werden müssen. Auch muss im Rahmen der Beweislastverteilung taktisch vorgegangen werden. So kann beispielsweise eine Arglist des Versicherungsnehmers möglicherweise „ausgehebelt“ werden.
Die Patientenakte stellt also nicht selten eine „Baustelle“ im Berufsunfähigkeitsverfahren dar. Vor diesem Hintergrund wird angeraten, unbedingt Hilfe von erfahrenen Experten im Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, damit an dieser Stelle keine Ansprüche verloren gehen.
Quelle: Ein Beitrag von Björn Thorben M. Jöhnke. Er ist Rechtsanwalt in der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte (www.joehnke-reichow.de). Erschienen bei AssCompact Deutschland, bearbeitet von der Redaktion Österreich.
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