Während die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls im Haus- und Eigenheimbereich und in der Kfz-Kaskoversicherung mitversichert werden kann und mittlerweile State of the Art ist, kann sie in der Gewerbeversicherung dazu führen, dass man sich als VN in der Hand des Gerichtes befindet, wie die Entscheidung OGH 7 Ob 106/23y vom 24.10.2023 zeigt.
Artikel von:
Dr. Wolfgang Reisinger
Lektor WU Wien und der Donau-Universität Krems
Sachverhalt
Am 22.9.2020 kurz nach Ladenöffnung dekorierte die Angestellte der Versicherungsnehmerin (VN) die hell erleuchteten Auslagen mit dem Rücken zur Tür mit Schmuckstücken. Zu diesem Zweck war die Tür des Tresors offen. Der vor der Tür vorhandene Rollbalken war zu diesem Zeitpunkt nicht heruntergelassen. Zwei unbekannte Täter verschafften sich gewaltsam mit einem Schraubendreher Zutritt zum Geschäftsraum, in dem sie dieses Werkzeug zwischen Türblatt und Türrahmen schoben und auf diese Weise die mit einer elektronischen Falle verschlossene, jedoch nicht mit dem Schlüssel versperrte Geschäftseingangstür überwanden. Der Überfall dauerte 40 Sekunden, die Täter entkamen unerkannt. Zum Zeitpunkt des Überfalles trug die im Geschäft anwesende Angestellte – mit Duldung des Geschäftsführers der VN – keinen (vertraglich vereinbarten) Alarmtaster. Der Versicherer wendete Leistungsfreiheit unter anderem wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ein. Die erste und zweite Instanz waren ebenfalls dieser Ansicht, nicht jedoch der OGH.
Entscheidungsgründe
Grobe Fahrlässigkeit setzt ein Verhalten voraus, von dem der VN wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalles herbeizuführen oder zu vergrößern. Die Zusammenschau der der VN vom Erstgericht vorgeworfenen Verhaltensweisen ergibt kein Verschulden in einem derartigen Ausmaß. Dass die elektronisch verschlossene Eingangstür durch bloßes Aufdrücken der Zarge geöffnet werden konnte, war dem Geschäftsführer der VN bis zum gegenständlichen Vorfall nicht bewusst. Ein Tragen des Alarmtasters hätte an dem binnen 40 Sekunden abgeschlossenen Raubüberfall nichts zu ändern vermocht und das sichtbare Dekorieren des Schaufensters vermag – ausgehend davon, dass die VN zu diesem Zeitpunkt auf eine elektronisch gesicherte Tür vertrauen durfte – für sich genommen einen Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht begründen.
Kommentar
Offenbar wird es Mode, dass der OGH sich in die Entscheidungen der Unterinstanzen zur Frage der leichten oder groben Fahrlässigkeit einmischt, obwohl dies jahrzehntelang nicht der Fall war (siehe auch OGH 7 Ob 127/23m zur KFZ-Kaskoversicherung). Das ist keine gute Idee, weil sich am ehesten der Erstrichter ein Bild von der Zuverlässigkeit des VN machen kann. Damit nämlich grobe Fahrlässigkeit vorliegt, muss ein ohne Zweifel objektiv besonders schwerer Verstoß auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein. Bisher hat der OGH die Meinung vertreten, dass es sich um Fragen des Einzelfalles handelt, und daher folgerichtig allfällige Revisionen meist zurückgewiesen. Die Entscheidungen der Unterinstanzen mussten aufgehoben werden, weil das Erstgericht auf den Grund des Anspruches einschränkte und zudem vom Versicherer Obliegenheitsverletzungen geltend gemacht wurden. Die exakte Höhe des entstandenen Schadens lässt sich nämlich aufgrund lückenhafter Inventarführung der VN nicht genau feststellen, weil die VN dem Versicherer keine Unterlagen zur Verfügung stellte, die den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprachen. Der zweite Rechtsgang kann daher durchaus noch spannend werden.
Den Beitrag lesen Sie auch in der AssCompact Jänner-Ausgabe!
zurück zur Übersicht
Beitrag speichern
sharing is caring
Das könnte Sie auch interessieren