Viele AVB zur Unfallversicherung enthalten immer noch die Bestimmung, dass eine dauernde Invalidität innerhalb einer Frist von (meist) 15 Monaten beim Versicherer geltend gemacht werden muss. Da es sich dabei um eine Ausschlussfrist handelt, kann es sehr leicht zu einem Anspruchsverlust kommen, was der OGH in 7 Ob 187/20f vom 25.11.2020 wieder einmal auszugleichen versucht.
Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 24.03.2021
Von Dr. Wolfgang Reisinger (Foto)
Sachverhalt
Der VN übermittelte dem Versicherungsvertreter kurze Zeit nach dem Unfall ärztliche Befundberichte, allerdings berichtete er diesem von einer dauernden Invalidität erst nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Unfall. Der Versicherer gab dennoch – einige Monate nach Ablauf der 15-Monatsfrist – ein Gutachten zur Beurteilung der dauernden Invalidität des VN in Auftrag. Da in diesem Gutachten angeführt ist, das noch leicht bestehende Funktionsdefizit am rechten Schultergelenk sei auf eine vorbestehende Schultereckgelenksarthrose zurückzuführen, lehnte er aus diesem Grund die Ansprüche des VN ab. Erst im Prozess wendete er auch einen Verstoß des VN gegen die 15-Monatsfrist ein.
Entscheidungsgründe
Die Beklagte behauptete erstmals im Prozess, der Kläger habe seinen Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität nicht innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend gemacht. Der Kläger hielt diesem Einwand entgegen, die Beklagte habe konkludent auf die Geltendmachung dieser Frist verzichtet, weil sie sich außergerichtlich auf keine Verfallsfrist berufen und ein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Dadurch, dass die beklagte Partei trotz Kenntnis von der unterlassenen Geltendmachung der dauernden Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall ihre Leistungen aus dem Unfallversicherungsvertrag allein aus inhaltlichen Gründen ablehnte, erzeugte sie beim Kläger die Erwartung, dass sie sich auch im Prozess nur auf inhaltliche Einwände gegen seinen Anspruch beruft. Unter diesen Umständen verstößt der erstmals im Prozess erhobene Einwand des Ablaufs der 15-Monatsfrist gegen Treu und Glauben und ist daher unbeachtlich.
Kommentar
In jahrzehntelanger Judikatur behauptet der OGH, dass es sich bei der 15-Monatsfrist um einen Ausschluss handelt. In Wirklichkeit liegt eine (verhüllte) Obliegenheit vor, weil vom VN ein Handeln verlangt wird („muss geltend gemacht werden“). Da Ausschlüsse von einem Verschulden des VN unabhängig wirken, kann es in Einzelfällen zu einer „ungerechten“ Leistungsfreiheit kommen, weshalb der OGH juristische Verrenkungen über die Rechtsfigur von Treu und Glauben anstellen muss. Bereits in der Entscheidung 7 Ob 11/89 hat der OGH entschieden, dass die Berufung auf den Fristablauf treuwidrig sein kann, wenn sich der Versicherer nach Fristablauf noch auf Verhandlungen einlässt und neue Gutachten anfordert. Das Wort „kann“ ist natürlich tückisch, weil es impliziert, dass man auch zu einer anderen Lösung kommen könnte. Die beiden Unterinstanzen waren durchaus vertretbar der Ansicht, dem Versicherer kann nicht unterstellt werden, auf den Einwand der 15-Monatsfrist zu verzichten, nur weil er lang nach Ablauf dieser Frist ein Gutachten in Auftrag gegeben hat. Obwohl der VN in diesem Fall gar nicht besonders schutzwürdig war, weil er die Frist einfach nicht beachtete, hat der OGH das Argument von Treu und Glauben sehr großzügig zu seinen Gunsten ausgelegt. Versicherern ist anzuraten, möglichst deutlich auf den Ablauf der 15-Monatsfrist hinzuweisen und auch bei Einholung von weiteren Gutachten klarzustellen, dass man sich diesen Einwand ausdrücklich vorbehält.
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Titelbild: ©Studio_East – stock.adobe.com
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