Bei einem Unfall im Jänner 2014 fuhr ein Klein-LKW gegen einen Rollstuhlfahrer. Trifft Letzteren ein Mitverschulden, weil er ohne Beleuchtung oder Reflektoren unterwegs war? Um diese Frage drehte sich ein Rechtsstreit, der vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) endete.

Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 27.04.2018
Der Rollstuhlfahrer war in der abendlichen Dunkelheit vom Bahnhof außerhalb des Ortsgebietes unterwegs nachhause. Sein handbetriebener Rollstuhl hatte keine Beleuchtung oder Reflektoren, der Mann selbst trug mittelhelle Jeans und eine dunkelblaue Jacke mit zwei weißen und roten Streifen über dem Brustbereich. Da er von einem Auto überholt wurde, blieb ein aus der Gegenrichtung kommender Klein-LKW stehen. Als dessen Fahrer wieder beschleunigte, wurde dem Rollstuhlfahrer klar, dass dieser ihn nicht wahrnahm. Er hielt sofort an, der Lenker des Klein-LKWs bemerkte ihn und leitete eine Vollbremsung ein. Dabei kollidierte er bei einer Geschwindigkeit von rund zehn Stundenkilometern mit dem Rollstuhl des Klägers.
Klage auf Schadenersatz
Der Mann klagte den Fahrer, den Halter des Fahrzeugs und dessen Haftpflichtversicherer. Er forderte Schadenersatz von insgesamt fast 30.000 Euro sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Spät- und Dauerfolgen, hinsichtlich der Drittbeklagten begrenzt mit der vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme. Das Erstgericht entschied, den Erstbeklagten treffe ein Verschulden am Unfall, weil er die Verpflichtung zum Fahren auf Sicht nicht eingehalten habe. Ein Mitverschulden des Klägers sei hingegen zu verneinen, weil ein Rollstuhl kein Fahrzeug im Sinn der Straßenverkehrsordnung sei, sodass die Beleuchtungspflicht (nach § 60 StVO) nicht gelte. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. In ihrer Revision forderten die Beklagten, dass ein Mitverschulden des Klägers von 50% festzustellen sei.
Kein Mitverschulden wegen dunkler Kleidung
Der Verzicht eines Fußgängers auf das Tragen heller oder mit reflektierendem Material versehener Kleidung vermag nach der Rechtsprechung für sich allein einen Mitverschuldensvorwurf nicht zu rechtfertigen, hielt der OGH (2Ob42/17s) fest. Der Kläger sei nach den Feststellungen keineswegs gänzlich dunkel gekleidet gewesen. Die Beklagten können nicht mit dem Fehlen einer hellen oder reflektierenden Kleidung deren Notwendigkeit begründen.
Dafür, dass der Kläger in sitzender Position schlechter erkennbar wäre als stehend, gebe es keine Beweisergebnisse; dies ist auch nicht offenkundig. Selbst wenn man davon ausginge, dass sich der Kläger in seinem Rollstuhl durchschnittlich weniger reaktionsschnell bewegen kann als ein Fußgänger, träfe das wohl auch auf einen Fußgänger zu, der ein Fahrrad schiebt.
„Allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise“
Die Beklagten bringen vor, dass ein vernünftiger und sorgfältiger Rollstuhlfahrer jedenfalls Aktivbeleuchtung oder Reflektoren benutzt hätte, und dass es im Hinblick auf die Vielzahl der möglichen Beeinträchtigungen, die die Benutzung eines Rollstuhls notwendig machen könnten, keinen „beteiligten Verkehrskreis“ gebe. Allein, dass die Beklagten bestimmte Maßnahmen zur Schadensabwehr für vernünftig oder aus dem „logischen Hausverstand“ heraus geboten erachten, erfülle aber für sich mangels entsprechender gesetzlicher Verpflichtung noch nicht die dargelegten Anforderungen der Rechtsprechung zur Annahme eines Mitverschuldens, sondern erst, wenn ein entsprechendes allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise vorliege. Weshalb es keine solchen beteiligten Kreise geben sollte, sei nicht nachvollziehbar. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
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