Wie genau geht Führung im digitalen Zeitalter, ist das wirklich „neu“ und wie können sich Führungskräfte darauf vorbereiten? Die Medienwissenschaftlerin, zertifizierte Trainerin (IHK) und Business Coach (BDVT) Dr. Sabine Hahn gibt Antworten.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 02.11.2018
Von Dr. Sabine Hahn*
Im klassischen Managementverständnis wurden bislang der autoritäre, der kooperative sowie der Laissez-faire-Führungsstil voneinander unterschieden, unter Umständen noch ergänzt um „situatives Führen“, also einen kontextabhängigen Führungsstil.
Jedoch scheint autoritäre Führung nicht geeignet, Transformationsprozesse zu bewältigen, die vor allem dann erfolgreich bewältigt werden können, wenn die einzelnen Mitarbeiter aktiviert und vom „Change“ begeistert werden können. Selbstredend ist der kooperative Ansatz ebenso wenig geeignet, derartige komplexe Führungsaufgaben zu bewältigen. Und mit dem Laissez-faire-Ansatz, also dem kontinuierlichen Verweigern von Entscheidungen und Stellungnahme, wird der Weg hin zu agilen Selbstmanagementstrukturen ebenso wenig erfolgreich zu gehen sein.
Insofern scheint es nur folgerichtig, dass in den letzten Jahren auch zunehmend von „transformationaler Führung“, „charismatischer Führung“ oder „inspirationaler Führung“ zu lesen war, also Führung weniger als Konsequenz einer bestimmten Hierarchieebene im Unternehmen, sondern vielmehr durch das Einbeziehen der Mitarbeiter, Kollegen und Teams in die (firmen)eigenen Visionen und Strategien. Bekannte Beispiele sind: Elon Musk (Tesla), Mark Zuckerberg (Facebook) oder Richard Branson (Virgin).
Digital Leadership als Konsequenz der Digitalisierung?
Der Begriff des „Digital Leadership“ basiert auf charismatischem bzw. inspirationalem Führungsverständnis, geht aber einen Schritt weiter. Im Fokus steht weniger das Weiterreichen von Arbeitsanweisungen, sondern vielmehr das Befähigen der Mitarbeiter, im Sinne der Organisation zu agieren. Die einfache, aber zentrale Idee: Jeder Einzelne arbeitet motivierter, zielgerichteter und schlussendlich auch effektiver, wenn er das „große Ganze“ kennt, die Vision und Zielrichtung des Unternehmens. Es braucht weniger Hierarchien, dafür mehr Selbstmanagement, weniger Direktive, dafür mehr Entscheidungsfreiraum. Mitarbeiter sind nicht aufgrund ihrer „Rangordnung“, sondern dank ihres Verantwortungsbereiches für das Unternehmen relevant.
Imponierende Titel, große Dienstwagen und sukzessive Gehaltserhöhungen sind Mittel der extrinsischen Motivation, die obsolet werden, wenn Mitarbeiter primär intrinsisch motiviert werden, beispielsweise durch Einbeziehung in Entscheidungen, Verantwortung und Erweiterung des Handlungsspielraumes.
Kommunikativ, temorientiert, offen
Der „Digital Leader“ ist dabei primär der geborene Kommunikator, analog wie digital, er ist empathisch und ein Menschenkenner. Der Digital Leader ist global vernetzt, „Digital Native“ – das heißt nicht nur kompetent, sondern vor allem überzeugt im Einsetzen von digitalen Tools und Prozessen – und arbeitet zeit- und ortsunabhängig. Dabei ist er im Remote- bzw. virtuellen Management ebenso versiert wie in psychischer Präsenz. Der Digital Leader sieht seine Hauptaufgabe darin, sein Team zu unterstützen und ihm zu geben, was es zur höchsten Performance benötigt, sich ansonsten jedoch im Hintergrund zu halten. Der Digital Leader bezieht sein Team mit ein, er lebt und liebt Visionen, nimmt Ängste und Sorgen vor Veränderungen ernst und er hat immer ein offenes Ohr.
Der Digital Leader ist schnell, agil, offen und vielseitig interessiert. Schlussendlich ist er immer um Perspektivwechsel und Verständnis der Gesamtsituation bemüht – weshalb seit einigen Jahren „die Führungskraft als Coach“ postuliert wird – und er ist in der Lage, „thinking outside the box“ zu betreiben, also in seinen Entscheidungen den eigenen Fachbereich zu verlassen und in großen Dimensionen zu denken („be bold“).
Führungskompetenzen
Doch welche Kompetenzen sind notwendig, um ein derartiges Führungsverständnis im unternehmerischen Alltag zum Leben zu erwecken und nicht als „Modevokabel“ stehen zu lassen?
Meiner Erfahrung und Überzeugung nach sind es vor allem die Folgenden:
- Kommunikation (analog/digital)
- virtuelle Führung (zeit- und ortsunabhängig)
- Vertrauen aufbauen (in Mitarbeiter und Kollegen)
- Verantwortung übertragen (delegieren statt kontrollieren)
- offene Fehlerkultur (Fehler sind wichtig)
- lebenslanges Lernen (Weiterbildung ist wichtig)
- digitale Tools und Prozesse (Design Thinking, Lean Start-up usw.)
- Digitalkompetenz
- Netzwerken (intern und extern, als strategisches Tool)
- Reflexionsvermögen (Selbstbild- vs. Fremdbild-Abgleich)
- keine Angst vor Veränderung (externe Unterstützung kann sinnvoll sein)
Digital Leadership hat den Menschen im Fokus
Meiner persönlichen Überzeugung nach ist der Kern des Digital Leadership jedoch vor allem, den Menschen in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Die Führungskraft ist nur so gut wie jeder Einzelne im Team. Ob Führung in Zeiten der Digitalisierung also neu gedacht werden muss, hat insofern sehr viel mit dem individuellen Führungsverständnis zu tun. Zudem glaube ich, dass „Führung“ in Zukunft losgelöst von Hierarchiestufen gedacht werden muss und insofern unter Umständen weniger attraktiv sein wird. Die Führungskraft ist dann vor allem Mentalcoach, Visionär, Trainer und Mädchen für alles.
*gekürzte Version; der Artkel erscheint auch in der AssCompact November-Ausgabe.
zurück zur Übersicht
Beitrag speichern
sharing is caring
Das könnte Sie auch interessieren