Der Austritt Großbritanniens könne ein Weckruf für die EU sein, sagen Experten von Allianz Invest. Zwar sind die Wirtschaftsaussichten getrübt, doch langfristig tun sich Chancen auf, um das „Projekt Europa“ wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 20.07.2016
Im Ergebnis der Brexit-Verhandlungen werde Großbritannien weiterhin – allerdings beschränkten – Zugang zum Europäischen Binnenmarkt haben, so Prof. Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE. Die Wirtschaftsaussichten sind allerdings getrübt: „Das Austrittsvotum wird das jährliche BIP-Wachstum Großbritanniens in den nächsten Jahren um ein bis zwei Prozentpunkte senken.“ Eine Rezession sei nicht auszuschließen. „Langfristig wird sich das Wirtschaftswachstum aber wieder erholen. Denn weder die EU noch Großbritannien haben ein Interesse daran, Handelsbeziehungen unnötig zu belasten.“
Erholung ist 2017 in Sicht
Der Euroraum habe laut Allianz-Experten mit spürbar eingetrübten Wirtschaftserwartungen zu rechnen, vor allem der Export nach Großbritannien werde leiden. Heise erwartet ein Wachstum in der EU von 1,6% (statt 1,9%) im Jahr 2016 und 1,6% (statt 2,0%) 2017. Im Verlauf des nächsten Jahres rechnet man mit einer leichten Konjunkturbeschleunigung.
Österreich: Exporte gehen zurück, EU-Mitgliedsbeitrag zeigt
Auch Österreich werde, wenn auch nur geringfügig, die Brexit-Folgen zu spüren bekommen. Die BIP-Prognose wurde von 1,7% auf 1,5% gesenkt: „Der ‚Brexit‘ könnte Österreichs Wirtschaft heuer somit rund 0,2 Prozentpunkte an Wachstum kosten“, so Heise. Die wirtschaftliche Unsicherheit dämpft die Investitionsneigung, zudem gehen Exporte an den wichtigen Handelspartner Großbritannien zurück. Und: „Mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU geht ein wesentlicher Beitragszahler verloren. Auf Österreich wird ein zusätzlicher jährlicher Mitgliedsbeitrag in dreistelliger Millionenhöhe zukommen“, so Heise. Erholung sei aber in Sicht – Österreich liege im EU-Trend.
Ende der Nullzinspolitik frühestens 2018
„Bis die Austrittsverhandlungen auf einem stabilen Weg sind, werden die Märkte weiterhin von hoher Volatilität geprägt sein“, so Heise. Während das britische Pfund vorerst auf dem niedrigen Niveau bleiben dürfte, erwartet Heise keine nachhaltige Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Die Europäische Zentralbank könnte ihre expansive Geldpolitik weiter lockern bzw. das Quantitative Easing ausweiten oder verlängern. Von der Nullzinspolitik werde man frühestens 2018 abgehen. Bevor die Zinsen wieder angehoben werden, werde die EZB das Anleihekaufprogramm auslaufen lassen.
„Die EU braucht eine neue Erfolgsgeschichte“
Zwar sei der EU-Austritt Großbritanniens eine große Herausforderung mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken. „Langfristig kann der ‚Brexit‘ aber dazu beitragen, dass die EU wieder enger aneinanderrückt“, sagt Heise. Er sieht in der EU keinen Anlass zu übertriebener Konjunkturskepsis, doch für ihre künftigen Aufgaben müsse sie flexibler und widerstandsfähiger werden. „Die EU braucht eine neue Erfolgsgeschichte. Sie sollte sich darauf konzentrieren, die Bürger wieder für das ‚Projekt‘ Europa zu begeistern.“
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