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Der „erweiterte Unfallbegriff“ und seine Schwierigkeiten

Der „erweiterte Unfallbegriff“ und seine Schwierigkeiten

02. März 2018

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4 Min. Lesezeit

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News-Im Blickpunkt

Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied einen Fall zum „erweiterten Unfallbegriff“, bei dem die dem Vertrag zugrunde gelegten Versicherungsbedingungen eine Leistung bei „erhöhter Kraftanstrengung“ vorsahen. Der Versicherungsnehmer erlitt eine Luxation beim Tennisspielen. Der Versicherer musste zahlen.

Andreas Richter

Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 02.03.2018

von Ewald Maitz, MLS

Der Bedingungstext zum vom OGH entschiedenen Fall lautet: „Ein Unfall ist ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht. ... Als Unfall gilt auch, wenn durch erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen werden.“

Am 15. Oktober 2014 spielte der damals 51 Jahre alte Versicherungsnehmer mit einem Bekannten Tennis, wobei sie eine Doppelstunde gebucht hatten. Nach zirka einer Stunde schlug der Versicherungsnehmer auf und verspürte direkt beim Schlagen des Balls in der rechten Schulter einen stechenden Schmerz. „Eine Abweichung der normalen Aufschlagbewegung fand dabei nicht statt.“ Der Versicherungsnehmer erlitt eine Luxation der langen Bizepssehne.

Erhöhte Kraftanstrengung

Nach Art 6.2 AUVB 2006 („erhöhte Kraftanstrengung“) sind laut OGH die im Rahmen alltäglicher Bewegungen vorkommenden Bewegungen (Abläufe) Maßstab für die Beurteilung, ob eine darüber hinausgehende „erhöhte Kraftanstrengung“ gegeben ist, sodass bei Ausübung einer Sportart auch „übliche“ und typische Abläufe, selbst wenn sie – gemessen an der Sportart – nicht in erhöhtem Maß kraftvoll ausgeübt werden, davon umfasst sind; auf individuelle körperliche Konstitution und Kräfteverhältnisse ist dabei nicht abzustellen.

Geht man von dieser Auslegung aus, ist ein Aufschlag beim Tennis – mag er auch einer „normalen Aufschlagbewegung“ in diesem Sport entsprechen – kein normaler Bewegungsablauf, wie er im alltäglichen Leben mit von üblichem Kraftaufwand begleiteter körperlicher Bewegung verbunden ist, sondern stellt eine „erhöhte Kraftanstrengung“ dar, auch wenn der Versicherte den Sport regelmäßig ausübt. Es besteht Versicherungsschutz im Rahmen der Unfallversicherung (OGH 7 Ob 115/17p, versdb 2018, 5).

Ob eine erhöhte Kraftanstrengung vorliegt und somit nach der angeführten Bedingungslage Versicherungsschutz besteht, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei die Abgrenzung häufig Schwierigkeiten verursacht. In Deutschland wurde bei vergleichbarer Bedingungslage in folgenden Fällen beispielsweise eine erhöhte Kraftanstrengung bejaht:

  • Abladen schwerer Kisten
  • Muskelfaserriss beim Vorführen einer Kräftigungsübung

In folgenden Fällen wurde in Deutschland das Vorliegen erhöhter Kraftanstrengung verneint:

  • Reinigung einer Windschutzscheibe
  • Normales Tanzen mit Hüpfen und mit Drehungen
Erweiterter Unfallbegriff

Der entschiedene Fall betraf den sogenannten „erweiterten Unfallbegriff“ (Unfallfiktion). Die Musterbedingungen des VVO sehen nach diesem erweiterten Unfallbegriff eine Leistung des Versicherers für Verrenkungen von Gliedern sowie Zerrungen und Zerreißungen von an Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln sowie Meniskusverletzungen vor. Die Leistung wird nach dieser Bestimmung auch dann erbracht, wenn kein Unfall nach dem klassischen Unfallbegriff der AUVB die Verletzungen verursacht hat.

Es gibt aber auch andere Formulierungen am Markt. Einige Versicherer fordern als zusätzliche Voraussetzung eine „erhöhte Kraftanstrengung“, wie beim vom OGH entschiedenen Fall, andere Versicherer fordern ein „plötzliches Abweichen vom geplanten Bewegungsablauf“. Die aus Sicht des Versicherungsnehmers vorteilhafteste Formulierung ist jene aus den Musterbedingungen.

Der Artikel erscheint auch in der AssCompact März-Ausgabe.

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