„Mehr Leistungskultur, weniger Erfolgskultur“, fordert der Neurobiologe, Speaker und Bestsellerautor Dr. Bernd Hufnagl. Warum wir zunehmend überlastet sind und was wir dagegen tun können, erklärt er im Interview mit AssCompact.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 09.07.2019
Herr Dr. Hufnagl, schenkt man diversen Studien Glauben, dann nimmt die Belastung am Arbeitsmarkt ständig zu. Arbeiten wir zu viel oder arbeiten wir nicht richtig?
Die gefühlte Belastung nimmt deutlich zu, und das, obwohl ein Arbeitstag nach wie vor nur acht bis zehn Stunden lang ist. Allerdings haben wir heute einen viel höheren Grad an Fremdbestimmung, Überwachung und ein Denken in Kennzahlen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Menschen schon lebende To-do-Listen sind. Besonders fatal wird es dann, wenn Wochenenden und Urlaubszeit nur noch als eine Unterbrechung der Arbeit empfunden werden. Es muss doch auch parallel dazu etwas im Leben geben, wie Hobbys und andere Interessen, das genauso wichtig und interessant ist.
Wie können Führungskräfte verhindern, dass sie bei ihren Mitarbeitern Überlastung auslösen?
Der erste und wichtigste Ansatz ist wieder ein wenig mehr Leistungskultur. Jeder kann für sich dazu beitragen, indem man ein Leistungstagebuch führt. Darin beantwortet man jeden Abend die Frage „was war heute meine Leistung?“. So zwingt man sich selbst, ganz bewusst zu überlegen, was man heute getan hat. In einem weiteren Schritt könnte man auch noch das Highlight des Tages notieren. Ansonsten neigen wir nämlich dazu, immer nur die negativen Aspekte zu betonten und die positiven überhaupt nicht zu erwähnen.
In Ihrem Bestseller „Besser fix als fertig“ beschäftigen Sie sich mit den negativen Auswirkungen des Multitaskings. Warum ist es nicht hirngerecht, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun?
Weil der Versuch scheitern muss. Anders als unbewusstes Multitasking – also etwa beim Telefonieren zu gehen – kann bewusstes Multitasking nicht funktionieren. Unser Gehirn arbeitet nicht parallel, sondern nur seriell. Wenn wir zwei Dinge gleichzeitig tun, springt unser Gehirn von einem Aufmerksamkeitspunkt auf den nächsten und wieder zurück. Dieses Hin-und-her-Springen kostet enorm viel Energie.
Gibt es augenfällige Symptome, die zeigen, dass eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter unter Überlastung leiden?
Das beginnt bei Schlafstörungen, geht über Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen und reicht bis zu Aggression und Abneigung gegenüber der Arbeit. Wenn ich in meinen Seminaren Manager frage, ob sie schon einmal vor einem Buch gesessen sind und nach zehn Minuten bemerkt haben, dass sie keine Ahnung haben, was sie gelesen haben, zeigen 90% auf. Wenn ich sie frage, ob sie während eines Gesprächs schon einmal an etwas anderes als an die Person gegenüber gedacht haben, zeigen fast 100% auf. Wir können nur noch senden und kaum mehr empfangen. Dann gibt es natürlich auch die klassischen medizinischen Stresssymptome – wie viele Menschen leiden an Schwindel, Tinnitus oder Magen- und Darmproblemen? Überlastung kann im schlimmsten Fall auch zu Burnout und Depressionen führen.
Gibt es ein Patentrezept, um gesundheitsschädigende Belastung zu vermeiden?
Wir müssen die gesunde Leistungskultur fördern. Die Führungskräfte müssen wissen, was ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten, sich darauf konzentrieren und es auch ansprechen. Warum nicht wieder einmal old-fashioned ein Lob aussprechen? In Wahrheit geht es um die Kontrolle der eigenen Aufmerksamkeit. Wenn wir uns nur noch auf Zahlen konzentrieren und nicht mehr wahrnehmen, wie es den anderen in meinem Umfeld geht, beginnen wir, uns selbst und andere vor uns herzutreiben. Wir müssen wieder Abstand zu unseren eigenen Handlungen bekommen. Das funktioniert nur über Tagträume, also nicht-zielgerichtetes Denken, auf österreichisch „ins Narrenkastl schaun“ oder „sinnieren“. Dabei wird in unserem Gehirn das sogenannte Default Mode Network – ich nenne es „Tagträumer-Netzwerk“ – aktiviert.
Bernd Hufnagl referiert bei „Sales Excellence – Kongress für Vertrieb und Führung“ am 18. Oktober in der Pyramide Wien/Vösendorf über „Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für mehr Lust an Leistung statt Frust durch Erfolgsdruck“. Die Teilnehmer erwartet ein Plädoyer für „mehr Leistungskultur, weniger Erfolgskultur. Arbeitsprozesse sind optimierbar, Menschen nicht.“ Information und Anmeldung unter diesem Link...
Das vollständige Interview lesen Sie in der AssCompact Juli-Ausgabe.
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