Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt sowohl für Versicherer als auch für Kunden. In der Praxis handle es sich aber um eine „Einbahnstraße gegen den Versicherer“, resümiert der Schadenexperte Dr. Wolfgang Reisinger aus einer aktuellen OGH-Entscheidung.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 31.08.2016
Wenn der Versicherer auf eine Kündigungs-Rücknahme des Kunden nicht reagiert, sei dieses Schweigen als Zustimmung zu verstehen. Zu diesem Urteil kam der Oberste Gerichtshof (OGH), nachdem ein Mann seinen Krankenversicherer klagte (AssCompact berichtete). Er hatte im November 2012 eine Krankenversicherung abgeschlossen, die er nur vier Tage später kündigte. Der Versicherer erklärte, die Kündigung sei erst mit Ende Jänner 2014 möglich, das Datum werde aber vorgemerkt. Im Oktober 2013 überlegte es sich der Kunden doch anders - auf seinen schriftlichen Kündigungs-„Rücktritt“ kam jedoch keine Reaktion des Versicherers. Als der Mann im Juni 2014 ins Krankenhaus musste, stellte er einen Antrag auf Kündungsrücknahme rückwirkend mit Anfang Februar 2014. Der Versicherer lehnte die Deckung ab, weil eine Kündigungsrücknahme nicht erfolgen könne.
Die Höchstrichter gaben dem Versicherungsnehmer Recht. Die Rücknahme der Kündigung sei als Angebot zur Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses zu verstehen. Stillschweigen bedeute nur dort Zustimmung, wo Gesetz, Verkehrssitte oder Treu und Glauben eine Pflicht zum Handeln auferlegen oder der Nichtzustimmende nach Treu und Glauben oder nach der Verkehrssitte hätte reden oder antworten müssen.
Wenn der Versicherungsnehmer seine vorherige Kündigung „widerruft“, rechne er auch mit einer Mitteilung, sollte dieser Widerruf unwirksam sein. Es liege bei gleicher Interessenlage wie bei einer unwirksamen Kündigung daher eine unklare Vertragslage vor, deren Klärung der Versicherer unverzüglich einzuleiten habe. Wenn der Versicherer schweigt, könne dies als Zustimmung zu diesem Widerruf gelten.
„Seltsames Verhalten“ des Kunden, Versicherer verantwortlich
Für den Juristen Dr. Wolfgang Reisinger ist das Urteil nicht nachvollziehbar. „Der – angeblich – eherne Grundsatz von Treu und Glauben im Versicherungsrecht wird von den Gerichten immer dann aus dem Zylinder gezogen, wenn einem nichts Formaljuristisches mehr einfällt, um den VN zu seinem vermeintlichen Recht kommen zu lassen.“ In diesem Fall habe der Kunde bereits vier Tage nach Beginn der Versicherung gekündigt, es sich nach knapp einem Jahr wieder überlegt und die Kündigung zurückgezogen und nach weiteren sieben Monaten einen Antrag auf Kündigungsrücknahme gestellt – nachdem „sicher zufällig“ drei Tage zuvor der Versicherungsfall eingetreten ist. „Sowohl Berufungsgericht als auch OGH befinden dieses seltsame Verhalten des VN keinesfalls als Verstoß gegen Treu und Glauben, der Versicherer hätte jedoch reagieren müssen.“
Bezüglich der „unklaren Vertragslage“ rät Reisinger Kunden, „Zornausbrüche zu unterdrücken“, denn das Schreiben „Ich kündige mit sofortiger Wirkung alle meine Versicherungen“ könne dazu führen, dass man mit 24 Uhr des Tages, an dem das Schreiben bei der Versicherung einlangt, ohne Versicherungsschutz dasteht. „Auch in einem solchen Fall ist Schweigen nämlich als Zustimmung zu verstehen.“
Den detaillierten Artikel lesen Sie in der nächsten AssCompact-Ausgabe.
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